In Bangkok ist ein unruhiger Frieden eingekehrt

■ Thailands Regierungspolitiker gehen auf Distanz zu Premier Suchinda, um ihre eigene Haut zu retten/ „Baldmögliche Ablösung“ des Generals beschlossen/ Doch die geforderte Beschränkung der Macht des Militärs ist noch nicht in Sicht

Bangkok/Berlin (taz) —Zwei Tage nach dem Gemetzel des Militärs an pro-demokratischen DemonstrantInnen pulsiert der Verkehr auf Bangkoks Straßen wie ehedem. Die Buslinien verkehren wieder, die Geschäfte und Banken sind geöffnet, nur Schulen und Universitäten bleiben noch bis Montag nächster Woche geschlossen. Ausnahmezustand und Ausgangssperre sind aufgehoben, die Inhaftierten wurden zum größten Teil freigelassen, Militärs und Polizei in ihre Kasernen und Wachen zurückbeordert.

An den Schauplätzen der Auseinandersetzung, entlang der Rachadamnoen Avenue, dem Demokratiedenkmal und vor dem Royal Hotel stehen noch immer Tausende von Menschen in Gruppen beisammen und hören mit Entsetzen die Berichte von Augenzeugen des Massakers der thailändischen Soldaten an den Teilnehmern der Protestaktionen der letzten drei Tage. Angehörige und Freude von Erschossenen hocken weinend am Boden, Plastiktüten machen die Runde, um für Beerdigungen Geld zu sammeln.

Am Denkmal der Demokratie werden Kränze für die Opfer niedergelegt, die von unabhängigen Beobachtern und Journalisten auf über hundert geschätzt werden. Immer wieder machen Gruppen von Passanten ihrem Haß auf den amtierenden General und Premier Suchinda Kraprayon Luft und wünschen ihn in Sprechchören zum Teufel. Flugblätter, in denen vor allem die Desinformationskampagne der Regierung verdammt wird, die Zensur von Presse, Rundfunk und Fernsehen, werden den Verteilern von den Umstehenden, darunter StudentInnen, ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen in Schlips und Anzug oder schicken Kleidchen, förmlich aus der Hand gerissen.

„Heimatlos geworden“

Als am Donnerstag gegen Abend die Menge vor dem Royal Hotel, das bis zu seiner brutalen Räumung durch das Militär den Demonstranten als Feldlazarett diente, auf mehrere Tausend anwuchs, sah sich das Hotelmanagement gezwungen, die von Einschüssen durchlöcherte Schwingtür für Schaulustige zu schließen. Mehrere hundert Verletzte sollen hier während der letzten Tage erste medizinische Betreuung erhalten haben, ehe man sie durch einen Hinterausgang zu den Krankenhäusern fuhr.

Viele derer, um die sich immer wieder andächtig zuhörende Gruppen von Passanten bildeten, waren erst am Mittag aus dem Gefängnis entlassen worden. Von 3.300 Inhaftierten sprechen die amtlichen Quellen, darunter 500 Frauen und Kinder. Vielen stehen der Horror und die Strapazen der letzten Tage noch deutlich im Gesicht geschrieben. Mr. Phuriwat, ein junger Angestellter aus Bangkok, berichtet, wie er am Montag abend auf der Suche nach seinem vermißten Bruder die Auseinandersetzungen erlebte: „Mit Maschinengewehren schossen die Soldaten auf uns wehrlos am Boden liegende Demonstranten. Viele, die wegzulaufen versuchten, brachen im Kugelhagel zusammen. Die Überlebenden und Verletzten wurden mit Gewehrkolben zusammengetrieben, wie Vieh zusammengebunden und auf Lastwagen gepackt und zum Polizeistadion gefahren. Sie behandelten uns schlimmer als Tiere.“

Auch andere berichten davon, daß die Mißhandlungen, Tritte und Schläge mit Gewehrkolben auch nach der Inhaftierung fortgesetzt wurden. Die Soldaten raubten auch ihr persönliches Eigentum, wie Geld und Schmuck. Mr. Boonlom, ein Lehrer aus der Provinz Kalasin, erzählt unter Tränen, wie sein Freund auf der Flucht vor den Kugeln tödlich am Kopf getroffen neben ihm zusammenbrach. „Wie trockene Blätter fielen wir unter dem Kugelhagel zu Boden. Vor dem Massaker fühlte ich mich als Thai und war stolz darauf, in diesem Land zu leben. Heute bin ich heimatlos geworden.“

Eine tiefe Spaltung durchzieht die thailändische Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen praktisch alle Schichten der städtischen Bevölkerung, auf der anderen die Soldaten und das Militär. Die Landbevölkerung hatte an diesen Protesten keinen Anteil — wenn man davon absieht, daß viele Soldaten vom Lande kommen. Denn während das thailändische „Wirtschaftswunder“ seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vor allem in Bangkok zum Entstehen einer neuen Mittelschicht geführt hat, lebt ein großer Teil der Landbevölkerung weiterhin unter der Armutsgrenze.

Haß- und Rachegefühle

„Ich habe Angst, daß diese Spaltung zu Haß und Rachegefühlen führen wird“, sagt Dr. Thirayuth Boonmee, ehemaliger Studentenführer und heutiger Dozent an der Thammasat Universität. „Das Massaker an den Protestlern hat tiefe Wunden gerissen, die lange nicht verheilen werden, schon gar nicht durch ein bloßes Herumdoktern an der demokratischen Verfassung. Viele Menschen werden sich mit einem politischen Kompromiß, der nicht die Macht der Militärs zukünftig einschränkt, nicht abfinden. Die jetzige Regierung muß abtreten, die Militärführung muß die volle Verantwortung für das Gemetzel übernehmen, sonst wird das Land nicht zur Ruhe kommen.“

Tatsächlich gehen auch den fünf Koalitionsparteien, die die Regierung des verhaßten Premiers Suchinda Kraprayoon bilden, nun auf Distanz zu dem General zu gehen. Und der thailändische Außenminister Pongpol Adireksarn machte gestern Suchinda persönlich für die Massaker der Soldaten an den DemonstrantInnen verantwortlich. Die Regierungsparteien, die von verschiedenen Kräften innerhalb des Militärs gestützt werden, verständigten sich bei einem Treffen mit Suchinda darauf, daß dieser „bald“ zurücktreten soll, berichten Diplomaten. Die ab kommenden Montag im Parlament verhandelte Verfassungsänderung, nach der in Zukunft nur gewählte Personen an die Spitze der Regierung treten dürfen, solle baldmöglichst in Kraft treten. Bislang hatten sie auf einer Frist von zwei Jahren bestanden.

Das Eingreifen des Königs, der am Mittwoch abend die Forderung nach demokratischer Reform unterstützte, läßt eine schnelle Annahme der Verfassungsänderung als fast sicher erscheinen, auch wenn es einige Gegenstimmen im Oberhaus des Parlaments geben könnte, dessen Mitglieder vom Militär ernannt worden sind. Der Grundkonflikt wäre mit dem Rücktritt Suchindas und der Verfassungsänderung aber nicht gelöst: zeigt sich das Militär doch weiterhin keinesfalls bereit, auch nur einen Iota von der Macht abzugeben. Paul Simon/li