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Schulterklopfen auf Problembergen

Ein Jahr SPD/FDP-Regierung in Rheinland-Pfalz/ Kontinuität als Programm/ Grüne führen Opposition  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Mainz (taz) — Ein ganzes Jahr SPD/ FDP-Koalition in Rheinland- Pfalz— „und keiner hat's gemerkt“. Die Grünen im Land der Rüben und Reben, denen selbst die von der CDU maßlos enttäuschte 'FAZ‘ den nötigen Ernst bei der Wahrnehmung der Oppositionsrolle im Mainzer Landtag bescheinigte, ziehen eher amüsiert Bilanz: „Teilerneuerung der Köpfe unter Beibehaltung der alten CDU/FDP-Politik.“ In den wichtigsten landespolitischen Fragen, so Fraktionschefin Gisela Bill, vertraue die SPD unter Ministerpräsident Rudolf Scharping den schwarz-gelben Rezepten aus der Mottenkiste der Vogel/Wilhelm-Ära: „Herr Scharping ist mit fliegenden Fahnen zum Wahlverlierer FDP übergelaufen und hat dabei seinen Koffer mit der sozialdemokratischen Programmatik stehen lassen.“

Was Gisela Bill als „Rückfall Scharpings weit hinter die Positionen der SPD auf Bundesebene“ bezeichnet, heißt bei den Mainzer Koalitionären dagegen schlicht die „Wahrung der politischen Kontinuität“ (Scharping). Rainer Brüderle, freidemokratischer Wirtschaftsminister unter den CDU-Ministerpräsidenten Vogel, Wilhelm und heute unter Scharping, brachte es auf den Punkt: „Zunächst ist der Erfolg der Kontinuität zu nennen. Wenn mancher Beobachter schreibt, in Rheinland- Pfalz habe sich nicht viel verändert, dann ist das ein Kompliment für die Leistung der FDP.“ Der Verzicht von Scharping auf politische Innovationen und markante Interventionen gegen die Kontinuitätsbeschwörungen seines Koalitionspartners hat zumindest die CDU politisch „genullt“. Nur für die Galerie im Landtag Front gegen eine Politik zu machen, die sich nur marginal von der unterscheidet, die man selbst umgesetzt hätte, hat die Union— nach mehr als 40 Jahren der politischen Fettlebe auf der Regierungsbank — nicht gelernt. Die Christdemokraten im rheinland-pfälzischen Krähenwinkel lecken still ihre Wunden und trauern den Zeiten nach, als der nach Thüringen entflogene Vogel noch satte Wahlsiege einfuhr. Das eröffnete den bislang in der heimlichen Konkurrenz der grünen Landesverbände als „graue Mäuse“ apostrophierten Grünen in Mainz ein Coming-Out — und stärkte das Selbstbewußtsein. Gisela Bill: „Unter diesen Prämissen sind wir die einzige echte Opposition.“

Der pastorale Scharping jedenfalls fühlt sich so wohl auf dem Ministerpräsidentensessel von Brüderles Gnaden, daß er schon heute von der Fortsetzung der rot-gelben Koalition über die laufende Legislaturperiode hinaus redet. Der Stil der Zusammenarbeit in der Regierung, so der 44jährige, sei „ruhig, besonnen und sehr solide“ und geprägt von einem „außerordentlich hohen Maß an Kontinuität— mit einem Stück Veränderung“. „Privatisierung“ heißt das eine „Stück Veränderung“, mit dem er trotz chronisch leerer Landeskasse die BürgerInnen mit Serviceleistungen seiner Landesregierung beglücken will. „Weniger Bürokratie wagen“, nennt das Scharping— „bei mehr wirtschaftlichem Denken.“ Daß da bei altgedienten Sozialdemokraten „die ideologischen Sperren rasseln“ (Scharping), ist für den Ministerpräsidenten nur ein marginales Problem. Die hätten halt sein Programm vor der Wahl genauer lesen sollen. So werden Straßen demnächst vom Land nach dem „Mietkauf-Modell“ geleast. Ein erstes privates Betreibermodell für die Abwasserentsorgung wurde im Kabinett verabschiedet. Und auch Verwaltungsneubauten und Studentenwohnheime sollen demnächst von privaten Konsortien gebaut und vom Land nur angemietet werden. Die freie Wirtschaft und die Freien Demokraten jedenfalls sind zufrieden mit „ihrem“ Scharping. An der sozialdemokratischen Basis mehren sich dagegen die Stimmen, die Scharping vorwerfen, daß den schönen Wahlkampfworten bislang keinerlei Taten gefolgt seien. An den sozialen- und ökologischen Brennpunkten des Landes „brennt“ es weiter — in der Pfalz, im Hunsrück und an der ideologischen Front. Für böses Blut bei der SPD weit über die Landesgrenzen hinaus hat die von der FDP diktierte Ablehnung der Einführung eines Tempolimits durch Scharping im Bundesrat gesorgt. Und die Zustimmung der Landesregierung zu dem von der SPD bundesweit abgelehnten Beschleunigungsgesetz hat die innerparteilichen Wogen der Empörung über die „FDP-Hörigkeit“ von Scharping weiter ansteigen lassen.

In den vom Abzug der US-Army betroffenen ländlich strukturierten Regionen warteten die kommunalen Mandatsträger bislang vergeblich auf die versprochene Unterstützung durch das Land bei der Konversion. Zigtausende von Arbeitsplätzen stehen dort zur Disposition. Doch bis auf vage Vorstellungen für die Nutzung der Ex-US-Base Hahn als Luftfrachtumschlagplatz hat die Landesregierung bislang keine Konzepte für die „Zivilisierung“ des Flugzeugträgers Pfalz oder der Flugplätze im Hunsrück vorgelegt. Statt dessen würden Bundeswehr und US-Streitkräfte weiterhin „devot hofiert“. Eine offensive Durchsetzung ziviler Interessen gegenüber den Militärs finde nicht statt. Ungelöste Problemberge auch beim Sondermüll — und kleines Chaos in der Schulpolitik.

In der Chronik vom ersten Jahr der Regierung Scharping/Brüderle ist deshalb nur ein Projekt von historischen Dimensionen aufzulisten: die Rückkehr von Kaiser Wilhem I. Samt Pferd ans Deutsche Eck in Koblenz. Es waren die Koblenzer BürgerInnen, die ihren ollen Kaiser Wilhem wiederhaben wollten — gegen den erklärten Willen des Republikaners Scharping.

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