: Senat will jüdischen Friedhof überbauen
Hamburger Senat unterstützt die Bebauung des Geländes eines ehemaligen jüdischen Friedhofs/ Graberde soll nicht berührt werden/ Orthodoxe Juden als „Unruhestifter“? ■ Aus Hamburg Julia Kossmann
Den Spruch des Oberrabbiners Itzhak Kulitz zum Konflikt um den jüdischen Friedhof in Hamburg-Ottensen, der eindeutig eine Ausschachtung des Friedhofsgeländes verbietet, bewertete der Chef der Hamburger Senatskanzlei, Senator Thomas Mirow, gestern als „einen aus seiner Sicht gangbaren Weg für das weitere Vorgehen“. Der Senator betonte gestern auf einer Pressekonferenz, bei der er jedes seiner Worte auf die Goldwaage legte, der Senat werde das Bauvorhaben weiterhin unterstützen. Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) werde in der kommenden Woche Gespräche mit der Investorenfirma Büll & Liedtke führen, um sie zu einer Änderung ihrer Baupläne im Sinne des rabbinischen Gutachtens umzustimmen, so daß auf ein unterirdisches Fundament und auf die geplanten Tiefgaragen verzichtet werden kann. Daß die Investorenfirma bereits vor Wochen solche baulichen Lösungen aus technischen Gründen verworfen hatte, ignorierte Mirow in seinem Zweckoptimismus. „Es ist jetzt eine neue Lage eingetreten, die erstmals einen Kompromiß erreichbar erscheinen läßt.“
Entgegen bisherigen Äußerungen des Investors, der Kulitz' Reise nach Hamburg finanziert hatte, und der Jüdischen Gemeinde, sich dem Urteil des Rabbiner Kulitz beugen zu wollen, nehmen diese nun wieder Abstand von ihrer Folgsamkeit. Die Gemeinde äußerte nach der Vorstandssitzung, sie werde an einer Umbettung, wie sie der Landesrabbiner Nathan Peter Levinson empfohlen hatte, festhalten: „Da der Eigentümer erklärt hat, daß er die Bauarbeiten fortführen will, hat der Landesrabbiner einen israelischen Experten beauftragt, die Bauarbeiten zu beaufsichtigen.“ Auch Rabbiner Kulitz hat die Entsendung eines Aufsehers für die Bauarbeiten angekündigt. Ob nun ein oder zwei Experten den Bau beobachten werden, ist noch unklar. Für den Zentralrat der Juden in Deutschland erklärte der Vorsitzende Heinz Galinski, daß sich zu den bisherigen Konfliktbegriffen der Vermögenswerte auf der einen und dem jüdischen Recht auf der anderen Seite inzwischen ein drittes Element gesellt habe: „Der Wert des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden in diesem Lande.“ Diese Äußerung kann als Ausgrenzung der orthodoxen jüdischen Organisation Athra Kadisha gelten, die durch ihre Demonstrationen für die ewige Ruhe ihrer Toten vor dem Friedhofsgelände die weltweite Aufmerksamkeit für den Ottenser Friedhof geweckt hatten. Kulitz' Gutachten widerspricht jedoch nicht dem Anliegen der orthodoxen Demonstranten, die auch von den Investoren gerne als Splittergruppe bezeichnet werden. Auch Senator Mirow stellte indirekt die orthodoxen Juden als Unruhestifter hin, die antisemitische Reaktionen provoziert hätten.
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