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Technisch laienhaft, aber aus dem Bauch

■ Was Hardrock-Fans an den „Guns“ schätzen, ist musikalisch ein Rückfall in die Siebziger

Musikalisch bringen Guns N'Roses eigentlich nichts Neues. Was Slash auf der Leadguitarre zusammenschrubbt, haben in den Siebzigern schon Leute wie Jimmy Page, Alvin Lee oder auch Jimi Hendrix mindestens genausogut gemacht. Bis Mitte der 80er Jahre spielten alle Hardrock- und Heavy-Metal-Leadguitarristen nach ein und demselben Improvisationsschema: der vom Blues beeinflußten Pentatonischen Tonleiter; das heißt nach einer Tonreihenfolge, die im Prinzip auf fünf Tönen beruht und die Halbtonschritte außer acht läßt. Ein Grundton wird dabei immer wieder umspielt.

Ungefähr 1984, nachdem die Anfang des Jahrzehnts entstandene „New Wave of British Heavy-Metal“ mit ihren Hauptvertretern Iron Maiden, Saxon und Judas Priest abgeebbt war, zerfaserte dann der Metal in verschiedene Strömungen. Plötzlich gab es zum Beispiel Trash-Metal (Slayer, Testament, Anthrax), Mainstream (Dokken, Mr. Big, Winger), und es tauchten Gitarrenheizer auf wie Vinnie Moore, Jason Becker oder der Schwede Yngwie Malmsteen, die reine Instrumental-Platten aufnahmen. Diese Power-Metaller verließen das Pentatonische Schema und spielten Akkordzerlegungen in atemberaubender Schnelligkeit, sogenannte Appegien — ein technisch anspruchsvolles, jedoch etwas gefühlskaltes Spiel. Bald schon war das Heer dieser neuen Gitarristen, die technisch immer filigraner spielten, kaum noch zu überblicken. Langeweile machte sich unter den Metal-Kids breit.

In dieser Situation tauchten Guns N'Roses auf. Slash spielt technisch eher stümperhaft Gitarre, aber er spielt wieder aus dem Bauch heraus. Er duddelt gemütlich auf einem Ton herum, tobt sich in einer Lage aus und hetzt nicht kreuz und quer übers ganze Griffbrett: ein klares, nachvollziehbares Songschema ohne technische Finessen und ohne allzu wilde Breaks mit teilweise simplen Riffs, die ins Ohr gehen. Ein Rückfall in die Siebziger. Aber die Leute hatten die Schnauze voll vom durchgestylten perfektionierten Metal, sie fuhren wieder voll auf das alte Hippie-Feeling ab. Dazu paßt auch Axls eindrucksvolle Rock-Stimme. Was er aus Bob Dylans altem Wiegenlied Knocking on Heaven's Door macht, ist einmalig. Die Lyrics des Songs, im Original sanft und resigniert, werden in einen schmerzvollen Protestschrei verwandelt — eine durch und durch einleuchtende Interpretation in einer Zeit, in der man bei Regen an Säure denkt und bei Sex an Tod.

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