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Die Weser kehrt zurück

■ Ein Visionär der Blaumilch-Nachfolge will 1994 für zwei Wochen die Martinistraße fluten

Wenn es nach Hans Diers geht, dann geht es der Martinistraße im Sommer des Jahres 1994 vorübergehend schlecht: 2.500 Kubikmeter Sand werden auf 400 Metern Länge aufgeschüttet, nur die Fußwege bleiben frei; am Brill treten riesige Pumpen in Aktion und pumpen Weserwasser empor. Aus einem meterdicken Rohr schwallen pro Minute an die 400 Kubikmeter in die vormalige Hauptverkehrsader und suchen sich dort, eingedeicht nur von zwei Kolonnen Sandsäcken, ihr natürliches Bett.

Im vergangenen Jahr hatte Hans Diers, sonst ein freiberuflicher Kulturmanager, die Idee und ließ sie aus Schreck gleich wieder fallen. „Das geht ja doch nie, dacht' ich mir.“

Vielleicht geht's jetzt aber doch: Kultursenatorin Trüpel hat das „Weserprojekt“ in die Liste ihrer Vorhaben aufgenommen; das Umweltressort zeigt Wohlwollen, und die Baubehörde hat „nichts Grundsätzliches dagegen“, den Autoverkehr für zwei Wochen um die Martinistraße herumzuschleusen.

Dort hat es übrigens auch früher schon mal geplätschert: Die Balge, die dort ihr Bett hatte, ist allerdings, wie viele andere alten Seitenarme der Weser, längst zugeschüttet. Die eineinhalb Millionen Mark, die Diers nun auftreiben muß, wären für eine Stadt, die von ihrem Fluß so schandhaft wenig wissen will, freilich eine geringe Buße. Der mißhandelten, abgedrängten und abgezwängten Weser aber böte sich endlich die Gelegenheit zu einem kleinen konterrevolutionären Ausfall mitten in die City, die ihr seit Jahr und Tag den Arsch des historischen Siegers zukehrt.

„Ein ungeheures Aufsehen“ erhofft sich Diers von seiner Aktion, vergleichbar vielleicht nur dem, welches der Straßenarbeiter Kasimir Blaumilch hervorrief, als er Tel Aviv flutete. Für die ungläubigen Massen stehn dann Imbißbuden bereit, Künstler haben allenthalben Skulpturen aufgestellt und Hand an die Fassaden gelegt, Geschichtsgruppen zeigen, wie's vor Zeiten wirklich war, das Übersee-Museum bietet eine Freiluft-Variante seiner Unterweser-Ausstellung; alles das ist möglich „und noch viel mehr“, sagt Diers, „das ist doch eine prima Gelegenheit, wenn schon mal so viel Leute kommen und kucken.“

Zwei Wochen lang darf dann die Weser in freiem Lauf über die Martinistraße gegen ihr Los demonstrieren; in dieser Zeit ist die Straße ein großer Markt der Unmöglichkeiten: Diers will, „daß das Gelände bespielt wird“ und hat zum Beispiel an Urban Sax gedacht, eine Gruppe von 40, im Verwegenheitsfall durchaus auch 120 Saxophonisten, die ihre Musik am liebsten für große Räume inszenieren. Der Straßenraum selber ist schon die schönste Bühne für Theater aller Absurditätsgrade. Womöglich schicken auch die Partnerstädte Ensembles, zumindest könnte man mit ihnen zusammen je nach Landessitte die Brücken schlagen, welche dann die Fußgänger über den simulierten Fluß bringen.

Vom Ufer und von verschiedenen Podesten aus läßt sich aber ganz einfach auch beobachten, welches Theater schon allein das Wasser macht: Am Brill schwappt es noch in voller Breite der Straße aus einer Rinne und kolkt auf Meter das Sandbett aus; schon bald aber bilden sich, je nach Durchflußmenge, Nebenarme und Inseln; Prall- und Gleithänge sind zu beobachten, turbulente Wirbelchen und verlorene Gerinnsel, lauter strömungstheoretische Delikatessen also, die vielleicht auch die Volkshochschule zu starker Kurstätigkeit anregen.

Am Ende der Fließstrecke, die übrigens wegen des Gefälles der Martinistraße eine Schleife gegen den Strom zieht, wird das Wasser wieder vom Sand getrennt und der Haupt-Weser zurückerstattet.

Wer's nicht glaubt, zahlt einen Taler. Ein Modell des köstlichen Unterfangens ist schon mal (siehe unser Foto) in einem kleinen Extra-Zelt auf der Breminale zu sehen: vom 5. bis zum 8. Juni, täglich von 15 bis 24 Uhr. Manfred Dworschak

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