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Im Land der Ödipussis

■ »Pyrolator«, »Andreas Dorau« und »Der Plan« im Loft

Markus, Nena, Hubert Kah: Selten arbeitet sich der Kopf so unwillkürlich und präzise durch die Erinnerung wie bei dem Namensdreigespann der Neuen Deutschen Welle. Die Verbindlichkeit des deutschen Pop: hier fand sie ihre Stimme. Die entfesselt-fröhliche Pennäler- und Beamtenlyrik von Heinz Erhardt, verpackt in einen bunten Melodienstrauß durch die als Beduinen verkleideten Musiker des Hazy Osterwald-Sextetts, reinkarniert als brummender Maserati-Song aus dem Traumfundus eines Autoquartetts. Oder auch: erste Liebe, schwere, kitzelnde Gefühle, die in der Brust wogen. Sex. Wie sag' ich's der Mama? Deutschpop im Land der Ödipussis.

Pyrolator, Plan, Andreas Dorau: das Leben hat noch nicht abgeschlossen mit den Erinnerungen. »Einen hätte ich da noch«, wie Didi Hallervorden gerne seine samstägliche Sat.1-Unterhaltungssendung beschließt.

Mit der ersten Konzertminute schon zog im drückend schwülen Loft die bunte Welt eines Post-Neo-Da- Immer-Noch-Dada ein. Andreas Dorau zeigte seinen Abschlußfilm der Filmhochschule. Schlag Dein Tier, eine Gameshow im Stil von Tele 5, in der Tiere gegen die Menschen antreten müssen, um die Publikumsgunst zu erbuhlen. Witzeerzählen, Wettradeln zwischen Bub und Bär oder »Wettditschen« von Hausgans und Motorradklub. Ravende Rentner ziehen Jugendkultur im Studio durch den Kakao. Mittendrin sieht man alte Dorau-Videos auf der Großbildleinwand und entdeckt längst vergessene Frisuren wieder, die heute nur noch heruntergekommene Partyaktivisten und Jung-»Republikaner« tragen. Kurt Schmidtchen, Dalli Dalli-Legende und Alt-Pausenclown des Zweiten Deutschen Fernsehens, streitet sich mit einem Wildschwein um die Voltairesche Vorstellung vom Begriff des Esprit. Dackeldamen und Bernhardinerrüden klatschen unter dem lenkenden Zugriff ihrer Frauchen. Die deutsche Variation auf das Monty-Python-Grundmotiv, aber auch ein Motto des Plan: »Es ist eine fremde und seltsame Welt.« So sollte es denn beinahe vier Stunden lang bleiben.

Pyrolator verzauberte mit Computermusik vom Band, zu der er gekonnt und trickreich einen handwerkskastengroßen Synthesizerersatz per Handauflegen bespielte: Kraftwerk für Kinder, Godzilla in der Zeichentrickdisko. Schlager ohne Schlagzeilen, dafür aber industriell, kompakt, tanzbar und fast wie Techno.

Andreas Dorau agierte entgegen der vorangegangenen Ringmodulatorenmystik ganz souverän entertainend. Seine Liedchen waren schon immer anders als die naive Deutungswelt deutschen Tiefsinns mit dem eisernen Willen zur Lapidarironie. Über Andreas Dorau kann man ganz ungeniert lachen, wenn er schlaksig im T-Shirt hampelt und zu grummelnden Tanzrhythmen seine dünnen Ärmchen verrenkt.

Singen kann er nicht. Dafür machen seine beiden Mitmusikanten Lärm für ein ganzes Orchester und setzen noch ein kurzes Solo obendrauf. Die Zugabe können alle im Publikum zumindest mitsummen. Es herrschte keine Revivalpflicht der neuen deutschen Fröhlichkeit (womöglich noch der rheinischen!). Die alten Freunde, die zum Konzert gekommen waren, freuten sich aufrichtig und selbstironisch. Das war vor Jahren camp und Attitüde, heute nehmen sich gestandene Werbetexter damit gegenseitig auf den Arm. Den Ernst des Lebens, den der Plan zum langatmigen Ausklang eines schönen Abends zelebrieren wollte, hatte also eigentlich niemand verdient.

Kitsch und Nihilismus stehen bei dem kuriosen Trio aus Düsseldorf ganz hoch im Kurs, die Liebe zum banalen Streich wird nur noch als Beiwerk in Szene gesetzt. Erst nach einer prätentiös-schrägen Vorzeige-Hippieperformance und melancholischen Männer-sind-Matrosen-Phantasien am Kunststrand wechselten sie endlich ihre Garderobe und griffen zu den altvertrauten Klängen; trugen wieder Ampelmasken und pizzatellerrunde Kindergesichter aus Pappmaché; lebten vom dynamischen Gebrauch des berühmten infantilen Humors der Frühzeit. Dazu knurrte die Elektronik, trillerte und pfiff und produzierte ein Meer bunter Klänge: Der Computer ist eine Freizeitmaschine. Harald Fricke

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