: Apoll näher als Jahwe
Taboris „Goldberg-Variationen“ in Dresden ■ Von Berthold Rünger
Licht erlischt, mit Donner und beißenden Blitzen bricht die Bühnentechnik zusammen. Im Hintergrund erscheint der Regisseur Mr. Jay und ruft vergeblich um Licht, während das Gewitter sich vergrollt. „Es soll gut sein oder ihr fliegt“, droht er. Dann der erste, bescheidene Spot, in den sich Mr. Jay stellt, damit man ihn sieht. Das Stück versetzt uns an ein Jerusalemer Theater, in dem Stationen des Alten Testaments als Show geprobt werden. Tabori macht wie in Mein Kampf und Weisman und Rotgesicht die Verwicklung, ja die Liebe von Täter und Opfer zum Ausgangspunkt einer Farce, die im Untergrund wiederum eine Menschheitstragödie ist. Diesmal sind es nicht mehr Volksgruppierungen, die sich Tat und Leiden teilen, vielmehr biblische Figuren und ihre Prinzipien, die sie zu Tätern und Opfern machen. Gott stürzt um seiner Ideen willen ein Volk in Leiden. Er will Perfektionismus, aber in der menschlichen Realität geht alles nur schief. Der Jähzorn entlädt sich in einer Back stage comedy. Ein Spiel auf dem Theater, selber eine von Patriarchalismen und Autoritätsproblemen durchwirkte Institution.
In den ersten Proben- und Schöpfungstag mischt die Dresdner Inszenierung von Irmgard Lange motivisch Neues ein: das Sirren von Flugzeugmotoren, Trümmerstücke und geborstene Ziegelsteine krachen bei Lichtentladungen auf den Bühnenboden. Der Bombenangriff als greller Effekt bringt uns in eine andere Zeit Dresdens — oder zitiert er irakische Raketenangriffe auf Israel? Moses' Gesetzestafeln haben von Anfang an einen Sprung, eine Premierenpanne? Goldberg verteilt die Splitter im Publikum als Souvenirs.
Mr. Jay (Peter Bause) schafft Ordnung in diesem brüchigen Theater und seinen widerspenstigen Menschen, die an alles andere, nur nicht das große Werk denken. Dynamisch sprintet er kreuz und quer, aktiviert, als ob er die vielen Fäden eines in Schieflage geratenen Unternehmens aufzugreifen hätte. Der feuer- oder löwengelbe Haarschopf glüht wie ein Warnsignal. Der helle Anzug läßt ahnen, daß der Herr bessere Zeiten gewohnt ist: dezent modisch in Material und Schnitt, perfekt sitzend wie eine Uniform. Er spricht hell und hoch in den Raum wie ein General über die Truppe hinweg, hörbar für das hinterste Glied, mit anfeuerndem Optimismus und gewinnendem Lächeln, die auf die Dauer künstlich und zunehmend gefährdet wirken.
Peter Bause begradigt gleichsam den Mr. Jay, der sich nie so recht klar ist, ob er biblische Geschichte inszeniert oder die Inszenierung biblische Geschichte ist, zu einem klaren, disziplinierten Manager. Er übernimmt sich an der unmöglichen Aufgabe, der Schöpfungsinszenierung eine vernünftige Ordnung zu geben, gleitet ab in Größenwahn und überfordert seine Umgebung. Amüsant ist zu beobachten, wie der große Herr an den kleinen Realitäten scheitert, gleichwohl ist der Preis für die Straffung der Figur hoch. Als scheiternder Lichtbringer übertönt Bause ihre doch wichtigste Seite, die Vertrottelung des Mr. Jay als Ausdruck patriarchalischer Selbstgewißheit, Machtfülle und Lüsternheit — Eigenschaften, die vor allem gedeihen, wenn die anderen die willigen, zur Selbstaufgabe bereiten Opfer sind.
Mr. Jay als ewig dynamischer Betriebsleiter braucht Mitarbeiter im Team, keine Opfer. Sein Assistent Goldberg (Peter Kube), der für alles Mißlingen einstehen muß, kann daher am rundlaufenden, quicken Bause nur entmutigter Versager werden. Mr. Jay wird an ihm zum Oberlehrer, der auch mal zuschlägt, nicht zum Täter; Goldberg zum trostlosen Melancholiker, der ohne Gewinn leidet, zum weinerlichen, kleinen Besserwisser. Das ist ja eben das Fatale, die Falle, daß das Opfer an der Tortur menschlich gewinnt, am Täter hängt, ohne sich zu finden. Am Ende wird Goldberg die Liebe als Überwinderin des Unheils entdecken.
Nur scheinbar integriert in die Inszenierung bleibt der schwarze jüdische Humor. Wärme, Sanftmut, Langsamkeit, Reflexion, Heimat sind die eigentliche Stärke Goldbergs, die im zumeist flotten Dresdner Spiel wenig Platz hat. Jr. Jay und Goldberg bekunden zwar gelegentlich ihren Abscheu voreinander — finden tun sie sich nicht.
George Tabori: Goldberg Variationen . Regie: Irmgard Lange. Bühne: Stefan Wiel. Schauspielhaus Dresden, Nächste Aufführungen: 10., 13. und 26. Juni
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