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Neutrales Schweden arbeitete mit Nato

Rundfunk fand in Dokumenten schwedischer und amerikanischer Archive Beweise für „Doppelspiel“  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Das neutrale Schweden war seit Beginn der fünfziger Jahre in alle Militärszenarios der Nato gegen den Warschauer Pakt einbezogen. Die entsprechenden Planungen liefen auf höchster militärischer und politischer Ebene im Königreich. Dies hat die Zeitfunkredaktion des schwedischen Rundfunks nach monatelangen Recherchen in bislang als „geheim“ gestempelten Dokumenten schwedischer und amerikanischer Archive enthüllt. Kommentar der Redaktion: ein zeitgeschichtlich vermutlich einmaliges Doppelspiel.

Nach den Informationen des Rundfunks begann die Zusammenarbeit mit den USA schon wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Zunächst gab es aber nur eine militärtechnische Kooperation. Schweden stattete seine Flugplätze mit US- Radaranlagen aus. Die dafür erforderliche Exportlizenz Washingtons wurde offenbar durch eine Gegenleistung erkauft: Stockholm verpflichtete sich, die COCOM-Regeln einzuhalten, die westliche Handelskriegsstrategie gegen den Ostblock.

1952 wurden dann die ersten Geheimabkommen getroffen, die Schweden faktisch zum Nato-Mitgliedsland machten. Zentrale Rolle spielte dabei offensichtlich ein Besuch des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Tage Erlander bei US-Präsident Harry S.Truman. In seinen Memoiren bezeichnet Erlander diesen Besuch zwar als „privat“. Doch bereits in den letzten Jahren waren wiederholt geheime Dokumente veröffentlicht worden, die man bei diesem „Privat“-Besuch unterzeichnet hatte.

Auch Dag Hammarskjöld, damals im Stockholmer Außenministerium für Handelsfragen zuständig, taucht wiederholt im Zusammenhang mit den Abmachungen zwischen Schweden und den USA auf. Ein Jahr später wurde er UN-Generalsekretär — und blieb es bis zu seinem nach wie vor ungeklärten Tod im Jahre 1961 bei einem „Flugzeugunglück“ im Kongo.

In den Abkommen mit den USA und der Nato verpflichtete sich Schweden, den Nato-Kampfflugzeugen im Kriegsfall alle militärischen und zivilen Flugplätze zu öffnen. Weiterhin wurden militärische Nachschubpläne für diesen Fall ausgearbeitet. Für den „Spannungsfall“ war u.a. ein geheimer Austausch von Offiziersdelegationen vorgesehen: 200 schwedische Führungsoffiziere sollten nach London ausgeflogen werden, um dort ihr Expertenwissen zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug war geplant, daß 200 Nato-Offiziere geheime Stellung in Schweden beziehen. Militärisches Nachschubmaterial wollte man getarnt bereits für den Fall einer ernsten Spannungslage zwischen Nato und Warschauer Pakt nach Schweden schaffen. Schwedens Militär wurde außerdem funk- und radartechnisch so ausgestattet, daß es zu einer problemlosen Zusammenschaltung mit den Nato- Systemen kommen konnte.

Die geheime Zusammenarbeit wäre beinahe schon vor 40 Jahren bekannt geworden. Am 13. Juni 1952 „verschwand“ eines der schwedischen Spionageflugzeuge plötzlich vom Radarschirm. Mit ihm die acht Mann starke Besatzung. Drei Tage später schoß die sowjetische Luftwaffe ein schwedisches Flugzeug vom Typ Catalina über der Ostsee ab, das offiziell nach der verschwundenen DC3 suchte. Die „Catalina- Affäre“ führte zu einigen pflichtbewußten Protesten und einem diplomatischen Notenwechsel, wurde aber erstaunlich schnell von schwedischer Seite zu den Akten gelegt. Das Spionageflugzeug war — wie Moskau nach dem Ende der Sowjetunion inzwischen bestätigte — von der sowjetischen Abwehr abgeschossen worden.

Man kann nur raten, warum Stalin und das sowjetische Militär darauf verzichteten, das „neutrale“ Nachbarland öffentlich an den Pranger zu stellen. Viel spricht dafür, daß die Politik des „In-der-Hinterhand-Behaltens“ auf beiden Seiten eine Rolle spielte (wie das jahrelange Eindringen „fremder“ U-Boote in schwedische Territorialgewässer).

Doch die militärische Zusammenarbeit Schwedens mit der Nato ist offensichtlich nicht nur Vergangenheit. Das, was in den fünfziger Jahren die DC3 leistete, erfüllen seit einigen Jahren schwedische Spionageflugzeuge vom Typ „Caravelle“, das Speziallauschschiff „Orion“ und große Bodenstationen — vor allem auf der Insel Gotland. Sie alle sind mit neuster westlicher Technik ausgestattet.

Was die direkte Einbeziehung in die Nato-Militärplanung angeht, so reichen die dem schwedischen Rundfunk vorliegenden geheimen Dokumente allerdings nicht bis in die Gegenwart. Zumindest aber bis 1987. Damals wurden Flugplätze und Luftwaffe mit neuer Nato-kompatibler Radartechnik nachgerüstet. Nicht zufällig, wie die Dokumente zeigen, sondern im Vollzug der in den fünfziger Jahren begonnenen Zusammenarbeit.

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