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Weltweites Indianertreffen in Rio

Vor der „Zivilisation“ wird gewarnt/ Maurice Strong: Wir müssen die Indios wiederentdecken/ Die Forderungen: Schutz der Reservate, Gebiete für Vertriebene, Anerkennung als Naturschützer  ■ Aus Rio Astrid Prange

Indianer sind wichtig, doch Maurice Strong, Generalsekretär der UNO- Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED), ist wichtiger. Als er mit seiner Frau Hanna in dem Indianerdorf „Kari-Oca“ vorfährt, stürzt eine Horde von Reportern auf ihn zu. Eine Gruppe vom Stamm der Terena, die gerade dabei waren, den rund 200 Journalisten aus aller Welt einen Tanz vorzuführen, bricht ihre Vorführung ab. Indio Marcos Terena schüttelt hilflos die Hand des Kanadiers. „Vorsicht vor der Zivilisation“, scherzt er und erteilt seinen Stammesgenossen den Befehl, weiterzumachen.

Marcos Terena, Indianer aus dem brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, ist Chef des stammesübergreifenden „Comite Intertribal“. Die vor einem Jahr gegründete Indianerorganisation hat angesichts des bevorstehenden Umweltgipfels eine weltweite Indianerkonferenz von 25. bis 30. Mai in Rio de Janeiro einberufen. Während des Treffens wollen die rund 250 Indianer aus aller Welt über ihre Zukunft beraten und ein Dokument mit Forderungen erarbeiten, das eine Delegation von ihnen auf dem offiziellen UN-Gipfel verlesen wird. Zentraler Punkt ist die Abgrenzung von Reservaten sowie die Vermittlung von neuen Gebieten für Stämme, die aus ihren ursprünglichen Gebieten vertrieben wurden.

Die Kulturen sollten voneinander lernen

Im Gegensatz zu den kostspieligen Vorbereitungen der UNCED ist der Tagungsort der Indianer, genannt „Kari-Oca“ eine schlichte, von Naturschönheiten umgebene Siedlung. In den riesigen Rundhütten am Fuß eines dicht bewaldeten Hügels am Stadtrand von Rio schlafen die Indianer in Hängematten. Das biegsame Holz sowie die reißfesten Grashalme für den Aufbau des Dorfs wurden extra aus dem Nationalpark Xingu nach Rio transportiert.

Am Tag der Einweihung der „Kari-Oca“ nehmen die Indianer den UNCED-Generalsekretär in Beschlag. Ein Indio aus Kanada raucht mit Strong im Schneidersitz die Friedenspfeife, eine Zeremonie, die das Publikum zehn lange Minuten zum bedächtigen Schweigen zwingt. „Wir müssen die Indianer wiederentdecken“, erklärt der Generalsekretär vor den surrenden Kameras. In Rio könnten die Grundsteine für eine gerechtere Zukunft gelegt werden.

Viele befolgen den Rat Strongs nicht. Nur ein kleines Grüppchen schart sich um den 38jährigen Indianerführer. Marcos Terena gibt sich versöhnlich. Er sei davon überzeugt, daß beide Kulturen voneinander lernen könnten, ohne dabei ihre Identität aufzugeben. „Es nützt nichts, wir müssen die Sprache der Weißen lernen, denn früher oder später treffen die beiden Kulturen doch aufeinander“, räumt er ein.

Zu weiteren Zugeständnissen sind die Indianer jedoch nicht bereit. Statt Bittstellerei und Bevormundung fordern die Ureinwohner Lateinamerikas, Malaysias, Lapplands und Neuseelands, die an der Konferenz teilnehmen, ihre Anerkennung als Naturschützer und das Mitspracherecht an politischen Entscheidungen, die sie betreffen.

„Daß große Teile des Amazonas noch unberührt daliegen, ist einzig den Indios zu verdanken, die in dieser Region leben“, stellt Terena klar. Der alleinige Grund, warum sich die brasilianische Regierung bei der Umweltkonferenz nicht schämen müßte, sei die Existenz der Indianer. Auf der Tagesordnung der Weltindianerkonferenz stehen deshalb nicht nur der Raubbau an der Natur, sondern auch die Kritik an dem von den europäischen Eroberern mitgebrachten Wirtschaftsmodell. Terena: „Wir wollen nicht, daß unsere Dörfer sich in Slums verwandeln und unsere Kinder mißhandelt und ermordet werden.“

Nur 200.000 von insgesamt fünf Millionen Indianern haben die Kolonisierung Brasiliens überlebt. Das größte Land Lateinamerikas ist dennoch der einzige Staat auf der Welt, wo es noch von der „Zivilisation“ unberührte Ureinwohner gibt. Wie lange noch, ist fraglich. Die Welle von Selbstmorden bei den Guarani und den Kaiowa im Bundesstaat Mato Grosso zeigt, wie weit der Prozeß der (Selbst-)Zerstörung schon fortgeschritten ist.

Dennoch sind sich die Indianer keineswegs einig, wenn es um die Verteidigung ihrer Interessen geht. Politische und persönliche Differenzen unter den Indianerführern haben dazu geführt, daß es während der UNCED zwei Weltindianergipfel in Rio geben wird. Sobald die Zelte in der „Kari-Oca“ abgebrochen werden, trifft sich die Gegenfraktion zur Konferenz „Indio 92“ von 31. Mai bis 12. Juni im Flamengo-Park, dem Gelände des Gegengipfels der regierungsunabhängigen Organisationen.

Beatriz Ahiaba, Indianerin vom Stamm der Colla aus Argentinien, findet den Zwist der Indios ganz natürlich. „Wir sind Menschen wie alle anderen auch“, verteidigt sich die Koordinatorin des zweiten Indianergipfels. Die Auffassung, daß Indianer stets einer Meinung sein müssen, sei total überholt und romantisch. In einem stimmt sie jedoch mit ihrem Rivalen Marcos Terena überein: „Wir brauchen keine Wortführer. Die Leute sollen wissen, daß wir uns selber verteidigen können.“

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