: Spiel mit Risiko
■ Eine Ausstellung von Katrin von Maltzahn und Oliver Schwarz im Senatsgebäude für Jugend und Familie
Auf einmal waren die Kinder da, kippten ihre Fahrräder auf den Bürgersteig und enterten das pompöse Gebäude am Karlsbad, um schließlich mit Sträußen heliumgefüllter Luftballons zurückzukehren. Auf denen waren allerdings weder Mickymäuse noch Werbeslogans zu finden, sondern die Gefahrenzeichen für radioaktive Stoffe und gentechnologische Produkte — »Für Dich« stand in Schreibschrift darunter.
Der spontane Beutezug hatte die Kinder in die Ausstellung von Oliver Schwarz und Katrin von Maltzahn geführt, die Mitte Mai im Gebäude des Senats für Jugend und Familie eröffnet wurde. Fast 2.000 Exemplare der aufgeblasenen Luftgefährten schwebten an diesem sonnigen Nachmittag durchs Treppenhaus in die oberen Stockwerke, vorbei an unzähligen kleinen Wandtafeln mit Aufschriften wie »Secret Weapons of the Luftwaffe«, »Perestroika«, »The Secret of Money« oder »Nam Vietnam« — Titel beliebter Computerspiele, deren Anteile im High-Tech- Markt für Kids von Maltzahn und Schwarz auf jedem Schild in Prozenten beziffert haben.
Spekulations- und Strategiespiele sind ein selbstverständlicher Teil des kindlichen Erfahrungsschatzes geworden, der die langwierige Vermittlung von Werten über Gespräche und Bücher rationalisiert. Schwarz und von Maltzahn haben den Nachwuchs ihrer Nachbarn am Joystick beobachtet: In wenigen Wochen finden die Jugendlichen ihren Weg durchs System. Bald müssen sie noch nicht einmal mehr das Fußballteam auf dem Bildschirm erscheinen lassen, um als »Bundesliga Manager Pro« Erfolg zu haben. Statt mit Figuren hantieren sie mit abstrakten Grafiken und Tabellen, die jedes Risiko kalkulierbar erscheinen lassen. Mit der Bewältigung dieser Lektionen, so vermuten von Maltzahn und Schwarz, könne das Kind die Haltung der Erwachsenen übernehmen, die »Risikogesellschaft« sei steuerbar. Die Gefahrensignale auf den Luftballons sind die Insignien dieser Vorstellung.
Doch geht es in der Ausstellung weniger um pädagogische Richtlinien als um die Bedeutung von all der Technik, die das Kinderzimmer beinahe zum öffentlichen Ort gemacht hat. Schon in früheren Arbeiten haben sich von Maltzahn und Schwarz mit der marktorientierten Vermittlung von Wirklichkeiten über verschiedene Medien auseinandergesetzt, sich allerdings auf den kunstinternen Raum beschränkt. In ihrem ersten gemeinsamen Projekt haben sie nun vier Farbfotos auf die Größe von Schullandkarten vergrößert und den Namenstafeln zugeordnet. Sie zeigen das Equipment der Nachbarskinder aus Bildschirmen und Videorecordern zwischen Teddybären und Comicbänden, Matchbox-Autos und Fang-den-Hut-Spielen.
Seltsam muten diese bunten Kinderwelten in dem Halbdunkel der Flure an, die ins Innere des Senatsgebäudes führen. Von der Diskrepanz zwischen dem Verwaltungsapparat und dem Leben »da draußen«, so vernetzt sie auch miteinander sein mögen, zeugen zwei Elemente, die von Maltzahn und Schwarz in die Symmetrie des Treppenhauses eingelassen haben. Am rechten Aufgang fungieren vier Fernseher als babylonisches Türmchen: Zur gleichen Zeit abgespielt, lassen sich die Reden von Politikern zum Thema Asylrecht nicht mehr verstehen. Links dagegen stapeln sich karierte Bettbezüge, wie sie auch in Kinderheimen, Gefängnissen und Asylbewerberheimen verwendet werden, an Orten also, wo der »Staat noch für den Schlaf sorgt« (Schwarz).
Der karierte Stoff, als Erinnerung an reale Erlebnisse, wirkt in seiner Umgebung irrealer als die angedeuteten künstlichen Welten. Das Interview, das von Maltzahn und Schwarz mit den Nachbarskindern führten und das in gedruckter Fassung ausliegt, verstärkt diesen Eindruck: Es scheint unmöglich, daß der Junge, der da professionell mit Disketten hantiert, um Goldstücke zu machen, und abspeichert, um danach Kühe zu zerstören, in solchen Laken jemals wirkliche Träume haben könnte.
Der zweite Text allerdings, den Katrin von Maltzahn und Oliver Schwarz zusammen mit Senator Krüger verfaßt haben, hütet sich davor, eine Vision von früh vergreisten, gefühllosen Zukunftswesen zu beschwören. Noch ist alles ambivalentes Spiel: Der Symmetrie der Raumgestaltung zum Trotz fiel der unvermutete Besuch der luftballongierigen Kinder gar nicht weiter auf. Er sah aus wie kalkuliert. Claudia Wahjudi
Bis 19.6., Am Karlsbad 8, Charlottenburg, zu den üblichen Büro- Öffnungszeiten
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