Wunderheiler im Stadion

■ Warum die US-Hardrock-Truppe Guns N'Roses umgehend heiliggesprochen werden sollte

Berlin (taz) — Mein Gott, Jahre ist es her, daß ich das letzte Mal ein Konzert besuchte. Denn da war mein Gelübde: Weil ich Jimi Hendrix' Abschied auf Femahrn verpaßt hatte und auch bei Jim Morrison und Janis Joplin nicht schnell genug gewesen war, hatte ich mir geschworen, all die Luschen, die noch kommen würden, zu ignorieren. Ich blieb eisern (mit Ausnahme eines einzigen Led-Zeppelin-Konzerts) — bis letzten Dienstag. GN'R im Olympiastadion.

Da war er wieder, der gute alte Hardrock, tiefer und voller denn je. Und während wir Opis vor nostalgischer Begeisterung fast sabberten, schleuderte uns die Truppe wunderschöne neue Balladen und gigantische alte Baß-Brocken vor die Füße, deren Aufprall all jenen, die sich tollkühn weit vorgewagt hatten, das rhythmische Hopsen abnahm. Die Erde bebte. Überhaupt, wir waren atmosphärisch voll in den Siebzigern. Dieselben Leute, die gleichen Matten. Und noch immer gilt: Hardrock-Bräute sind so fetzig wie die Musik. Der einzige Unterschied: Fast jeder trug GN'R-Nippes, und wer ganz ohne kam, deckte sich noch schnell an einem der zahlreichen Stände ein. T-Shirts, Käppis, Unterhosen (Tanga 40 Mark), die Vermarktungsmaschine surrt filigran.

Wir wurden übrigens Zeugen einer Wunderheilung: Ganz vorne— dort wo nicht mal mehr Platz zum Fallen war —, da teilte sich plötzlich wie von Zauberhand die volltaube gläubige Menge, und ein blinder junger Mann, die Augen starr gen Himmel gerichtet, die Hände wie zur Segnung ausgebreitet, den Kopf in steten Headbanger- Andeutungen zuckend, schwebte an uns vorbei zur Bühne wie weiland Moses durchs Meer. Wir schwören hoch und heilig: Auf dem Rückweg hatte er sein Augenlicht wiedererlangt! Was guter Rock alles vermag, nicht wahr!

Und der natürliche Geruch all dieser verschwitzten Menschen, frei von Deosticks oder billigen Parfüms, vermischt mit dem Duft eines Grases, der garantiert nicht vom Stadionrasen aufstieg, war in hohem Maße ansprechend und erquickend. Die reine Labsal; und als die Sonne endlich ganz verschwunden war und die Jungs „There's a heaven above you Baby and don't you cry tonight“ brüllten und alle, aber auch alle aus voller Hardrock- Seele mitschrien, da geschah es: für einen kurzen Moment waren die alten „Stairways to heaven“ zu sehen. Ergreifend: abgefuckteste Schwermetaller, um die Bürgers gewöhnlich einen großen Bogen zu machen pflegen, strahlten in ihrem Schatten eine geradezu himmlische Güte und Nächstenliebe aus. Fazit: Soll der Papst seligsprechen, wen er will; die Monsters of Rock sind jedenfalls umgehend heiligzusprechen — bei vollem Hohnausgleich. Siehe auch Kulturseiten Walter Glatt