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Mit Farbe gebaut

■ Berliner Stadtansicht von Gustav Wunderwald im Knoblauchhaus

Wunderwald — ist das nicht ein Name wie fürs Märchenbuch, Abteilung Käferglück und Wichtelreigen? Zischke oder Bredow würde Gustav gern heißen, doch Namensänderung kommt nicht in Frage. Name ist Erbe, und das verschleudert man nicht.

Aber aufgepaßt: kaum verliebte er sich mal ins Birkengrün und den Fliegenpilz am Wegesrand — schon blähte sich der Name auf und verlangte mehr Idyll. Ja, die nette Ecke: da machte es sich beispielsweise Trillhaase bequem, der Maler, der Einfaltspinsler, den Dix im Familienkreis als Oberdeppen porträtierte. Adelbert, das ist ein gedrillter Haase halt, der stille hält beim Wettbewerb des Zuchtverbands. Dagegen Gustav Wunderwald: das ist ein Mann, korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, nicht sehr gemütlich und gewiß kein Naiver, wie Adolph Dietrich aus Berlingen am Bodensee oder Bombois, Vivin, die herzigen Franzosen. Wunderwald ist sein eigener Angestellter für Stadtbildmalerei und außerdem noch Bühnenbildner — doch leider schon lange ohne Job. Da hilft Frau Wunderwald dann mit Nähen, Weiten, Kürzen, verdient das Geld mit Flickensetzen, halb Charlottenburg läuft schon mit Kleidern durch die Gegend, die mal in ihrer Werkstatt waren.

Und kochen tut Frau Wunderwald ganz wunderbar; wenn es »Arme Ritter« gibt, Domherrenbrot, Pichelsteiner Topf, vergißt der Gustav oft das Malen, das Ärmlichsein und allgemeine Not. Doch von den kleinen Freuden abgesehen, gibt's keinen Grund zur Heiterkeit. In seiner Lage, findet er, muß man einfach sachlich sein. Dazu gehört: der scharfe Blick, und den bekommt man nicht beim Weg nach innen, beim Formenbasteln in der Kunstboheme, den kriegt man nur beim Gang nach draußen, beim Pflastertreten mit dem Skizzenblock.

Gustav, mach die Augen auf! Vorbei an Schutzmann Reschke, Amtsrat Lüder und dem Stenowunder Fräulein Wegelin, hinein ins Straßenbahngebimmel und Droschkenhupen, ins Köterkläffen und Gedröhn der Preßlufthämmer. Da wird der Blick trainiert fürs Wesentliche, den Hintergrund, die Häuser. Die Häuser sind die wahre Denkmalskunst des Alltagslebens. In jedes Haus hat sich dies Leben eingeprägt, und wo und wie, das will ich zeigen. Ich male das, was jeder sieht, doch keinen Ausdruck dafür findet. Ich bin das Kreuz, das jemand auf ein Foto setzt: Hier lebe ich, hier wohne ich, und das ist meine Nachbarschaft.

Wunderwald schaut nicht wie Zille oder Baluschek mit umflortem Blick ins Proletariermilieu (Arm, aber gut, die Mitleidsnummer, die beim solventen Käufer immer zieht). Die Kollwitz und die Caritas, die gehören, so denkt er zuweilen, irgendwie zusammen. Nein, er ist Maler und kein Missionar. Klar, in Bad Sachsa, da wär' er vielleicht im Dienst der Kurverwaltung der Mann fürs Harzer Sagengut geworden, aber in Berlin? Da gibt's andere Erleuchtungen. Da geht man durch den Wedding, durch Steglitz oder Lichterfelde, guckt aufs Pflaster und wird Schuhwerksspezialist, Mantel- und Rocksaumkenner, Blickehascher und lernt, ohne stolpern Dächer und den Himmel anzuschauen.

Er ist Passant und kein Hausierer, er macht Passantenkunst: zeigt man, was hinter der Fassade ist, wird man schnell zum Journalisten. Er aber begnügt sich mit der Außenfront, der Haut und ihren Änderungen. Und jedes Bild ist farbgebaut, denn als Maler ist er auch in einem: Architekt und Straßenkonstrukteur, Dachdecker und Zimmermann, Glasermeister, Maurer... Jeder Stadtbezirk, weiß er inzwischen, hat sein eigenes Farbsystem. Grundfarben gibt's: Charlottenburg etwa, das ist lichtes Ocker, Spandau graues Gelb, Wedding Grau mit Preußischblau gemischt. Und jede Straße ist zusammengesetzt aus mehr als hundert Farbfeldflächen. Und dann die Zäune, Mauern, Brücken, die Litfaßsäulen, Telegrafenmasten! Alles redet durcheinander und macht den Malerkopf ganz wirr. Ziemlich lange hat's gedauert, bis er hinzuhören verstand, bis das Sehengehen klappte. Da kommt der Mann im Steinbockzeichen, der Gustav mit dem festen Tritt. Auch der Kaiserdamm hat Klüfte, und in der Müllerstraße ist man rasch dem Absturz nah, wie auf der Seiser Alm oder im schönen Zillertal, wo er so gern den Schritt trainierte. Ja, die kleinen Straßenwunder, die können einen Mann wie ihn nicht aus den Wanderstiefeln kippen. Er ist der kühle Topograph, der jede Änderung des Straßenbilds sich merkt und ins eigene Registriersystem aufnimmt. Seine Bilder, das sind Summen aus hundertfachen Blicken, addiert und subtrahiert, geteilt und malgenommen (dabei war das Rechnen in der Schule eines seiner schwächsten Fächer). Doch hier, wo's um Farben geht, da funktioniert es und macht Spaß — vielleicht ist das ein Verdienst vom Malermeister Kuhn aus Köln, bei dem er Lehrling war. Gut geschult und vorbereitet ist er nun auf dem qui vive: schon ein kleiner Wechsel, ein Plakat, ein Reklameschild, frisch und neu, gibt der Straße ein anderes Gesicht. Auch die Inschriften, da und dort hingekritzelt und gemalt auf Wandputz oder Backsteinoberfläche — manchmal gibt's da Worte, die wie Wunder sind. HINGABE etwa, stand im Frühjahr 1925 am Fabrikgemäuer irgendwo in Moabit. HINGABE an die öde Arbeit? Das konnte wohl nicht sein. HINGABE als Liebesdienst für Fräulein X? Vielleicht. Aber womöglich auch: HINGABE ans Mauerbraun, an den stumpfen Fensterblick, die Schornsteinkeulen im Moabiter Himmelgrau, ans Dreistockwerkhaus im Hinterhof, das wie der Stall in Betlehem aufleuchtet und: HINGABE an die Brandmauern dazwischen. Denn die bringen Ordnung und Gleichgewicht ins Formgewirr, die sind Ruhepunkte für den Blick, die sind die Grenze zwischen Heiß und Kalt, die sind die kaum erforschten Stellen im Bild von Groß-Berlin, und ihr Entdecker heißt: Gustav Wunderwald. Andreas Seltzer

Gustav Wunderwald, Berliner Stadtansichten, Knoblauchhaus, Poststraße 23, 1020 Berlin, Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, Samstag bis 18 Uhr, Sonntag 10 bis 17 Uhr.

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