: Einheit unter Blauhelmen
Zypern — eine erfolgreiche UNO-Friedensmission ■ VON CLAAS MÖLLER
Auch Nikosia hat seit kurzem seine Fußgängerzone, das Hauptmerkmal jeder europäischen Stadt, die etwas auf sich hält. Sieht man einmal von unbelehrbaren Mopedfahrern ab, dann ist in der Ledra Street neuerdings ein Schaufensterbummel ohne Gefahr für Leib und Leben möglich. Die Fußgängerzone mit Mehrfarben-Pflaster und dem noch nicht installierten Springbrunnen ist hier auffallend fehl am Platze. Und richtig, sie endet wenig später in einer Art Barrikade.
Mauer kann man dieses Monstrum aber kaum nennen — die griechischen Zyprioten haben im Gegensatz zu den türkischen alles unterlassen, was die Grenze endgültig aussehen lassen könnte: Um die Ecke zielen sogar noch Schießscharten in einen Wall aus Sandsäcken auf die türkische Seite, und das Schild, auf dem in drei Sprachen „Nikosia, die letzte geteilte Hauptstadt“ steht, ist mit der Hand geschrieben. Eine Gruppe junger Rekruten aus Griechenland läßt sich vor dem griechisch-zypriotischen Posten mit MG und aufgepflanztem Seitengewehr fotografieren. „It's just for a souvenir“, meinen sie. Vielleicht hat nicht nur die Aufnahme selbst, sondern auch die Kulisse, die sie als Andenken an ihren mehrmonatigen Einsatz auf der Inselrepublik gewählt haben, bald nur noch Erinnerungswert.
Beide Volksgruppen auf der Insel wollen die Vereinigung, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Die griechisch-zypriotische Mehrheit will die rund 200.000 Flüchtlinge, die 1974 aus dem Norden kamen, repatriieren. Sie fordert auch die Rückgabe des Landes, das damals entschädigungslos enteignet wurde. Die türkisch-zypriotische Minderheit dagegen sieht in einer Wiedervereinigung die Chance, die internationale Isolierung zu durchbrechen und teilzuhaben am „Wirtschaftswunder“ im Süden.
UNO-Plan begrüßt
Der Plan des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali, den der Weltsicherheitsrat als Resolution750 im April verabschiedete, sieht die Aufteilung der Insel in zwei autonome Bundesstaaten vor. Nach außen allerdings soll Zypern wieder eine Einheit mit einer einheitlichen Staatsbürgerschaft werden. In der Regierung dieser Konföderation soll eines der drei wichtigsten Ressorts — voraussichtlich das Außenministerium — von einem türkischen Zyprioten besetzt werden. In einem gemeinsamen Unterhaus sollen die griechischen Abgeordneten zu 70Prozent und die türkischen zu 30Prozent vertreten sein — also genau in dem Verhältnis, das schon das Londoner Abkommen vorsah, mit dem Großbritannien Zypern 1960 in die Unabhängigkeit entließ, und das damals wie heute viele griechische Zyprioten als pro-türkisch ansehen. Immerhin machen sie 82Prozent der Bevölkerung aus.
Anders als bei den früheren begrüßten aber diesmal Politiker beider Seiten den Vorstoß des Sicherheitsrates. Die Zustimmung kommt nicht von ungefähr, denn die UNO besitzt ein Druckmittel, um die beiden verfeindeten Staaten an den Verhandlungstisch zu zwingen: Sie droht im neuesten Plan mit dem Rückzug von großen Teilen der UN-Friedenstruppen. Die UNFICYP bewacht die Pufferzone zwischen der selbsternannten Türkischen Republik Nordzypern und dem griechisch-zypriotischen Süden. Neben Großbritannien und Österreich stellen vor allem Dänemark und Kanada den größten Teil der 2.100 Blauhelme.
Vor allem Dänemark und Kanada wird das auf die Dauer zu teuer; ihre Soldaten wollen sie bis zum Jahresende abziehen. Möglicherweise schließt sich diesem Schritt auch Österreich an. Um die Pufferzone dann noch besetzen zu können, müßten die Vereinten Nationen dann ihr eigenes Budget anzapfen. UN-Generalsekretär Butros Ghali ist entschieden dagegen, da bereits die jetzige UN-Mission in Jugoslawien erhebliche finanzielle Löcher reißt.
Die Vorstellung, daß sich die Friedenstruppen zurückziehen, jagt besonders den Griechen im Süden Schauer über den Rücken. Sie haben Angst vor der militärischen Übermacht der Türken. Auf 30.000 schätzt das Londoner Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) die Zahl der türkischen Soldaten vom Festland, die im Nordteil der Insel stationiert sind; andere internationale Institute und die griechisch- zypriotische Regierung sprechen von 35.000. Zum Vergleich: im Süden sind laut IISS rund 950 griechische Soldaten stationiert, dazu kommen rund 1.300 griechische Offiziere, die zur griechisch-zypriotischen Nationalgarde abgestellt sind.
Hochgerüsteter Norden
Nordzypern starrt vor Waffen. Kaum ein Ort ohne Militärcamp, kaum eine strategisch wichtige Stelle ohne Militärpolizei. Wo die Straße durch Armeegelände führt, muß der Taxifahrer seinen Benz durch einen Slalom-Parcours bugsieren. Er klagt: „Military everywhere, it's terrible!“ Zu den Soldaten kommen noch einmal 60.000 bis 80.000 Siedler aus Anatolien. Damit sind die rund 80.000 türkischen Zyprioten in der Minderheit — wie bereits von 1960 bis 1974.
Die türkischen Zyprioten haben gemischte Gefühle gegenüber den Türken vom Festland. Einerseits finanziert Ankara der international isolierten Nordhälfte der Insel rund 50Prozent des Staatshaushaltes und hält sie durch starke Militärpräsenz am Leben. Andererseits gibt es atmosphärische Spannungen: Die türkischen Zyprioten sind auf der Insel aufgewachsen, die immer als außergewöhnlich international gegolten hat. Sie fühlen sich den zugewanderten anatolischen Bauern an Bildung und Weltoffenheit überlegen. Auch mit den Pflichten des Korans halten es die Zyprioten eher lax.
Der neue Vorstoß der UNO gibt den Türken Zyperns die Chance, wirtschaftlich nachzuziehen. Der Tourismus, wichtigster Wirtschaftsfaktor im Süden, will im Norden nicht so recht florieren, obwohl dort die schönsten Teile Zyperns liegen. Das Pro-Kopf-Einkommen der Republik im Süden liegt heute über dem von Spanien und Irland, die Arbeitslosigkeit geringfügig über zwei Prozent.
Die meisten der 200.000 Flüchtlinge griechischer Herkunft fanden damals in Neubausiedlungen des Südens Unterkunft, die noch heute auf Schildern als „rebuilt areas“ ausgewiesen werden. Eine Mehrheit von ihnen hofft wohl noch heute, den verlorenen Grund und Boden wiederzubekommen. Doch der Plan Butros Ghalis sieht Beschränkungen beim Eigentum und bei der Wahl des Wohnorts für die jeweilige ethnische Minderheit vor.
Bewegung im Juni
Ein Plan also, der ungünstiger für die griechische als für die türkische Seite scheint. Gerade die Drohung, daß die UN-Truppen abziehen, könnte darum aber die griechische Seite eher drängen, Zugeständnisse zu machen. Auch für die Türken hat die UN ein Druckmittel parat. Ist bis Juni kein überzeugender Fortschritt erzielt, dann will der Sicherheitsrat Alternativen erwägen, das Zypern- Problem zu lösen.
UNO-Diplomaten in New York wollen erfahren haben, daß die Türken bereit sind, bei einer Konföderation ihr Siedlungsgebiet von jetzt 37 auf 27Prozent der Insel zu verringern. „Wir werden keine Gebiets- Zugeständnisse machen, von denen wir wissen, daß unsere Leute sie nicht akzeptieren“, sagte aber weniger konkret vor einigen Tagen Rauf Denktras, der nordzypriotische Präsident. Nummer 750 ist immerhin die erste Resolution des UN-Sicherheitsrates, die Denktas nicht von vornherein abgelehnt hat. Dies könnte entscheidend sein für das Gelingen des Friedensplanes. Die Opposition in Nordzypern steht einer Wiedervereinigung ohnehin offener gegenüber. Zum Beispiel Özer Özgur, der mit seiner Allianz bei den Wahlen von 1990 fast die Hälfte der Stimmen im Norden errang und dann das Parlament verließ, da er Denktas massive Wahlmanipulation vorwarf. Trifft sein Vorwurf zu, dann wäre möglicherweise Özgur heute rechtmäßiger Präsident und der Weg zur Vereinigung weniger steinig. Gleichfalls für den UNO-Plan ist die ebenfalls oppositionelle „Neue Zypern Partei“ aus dem Norden.
Im Süden hat das Streben nach Wiedervereinigung zu einem eigenartigen Bündnis geführt: Die beiden größten Parteien des Südens, die konservative „Disy“ und die Kommunisten, sind zu einem Kompromiß mit dem Norden bereit. Beide Parteien errangen mit diesem erklärten Ziel bei den Wahlen des vergangenen Jahres starke Stimmengewinne. Sie stellen zusammen nun rund zwei Drittel der Parlamentssitze und stützen die Regierung des parteilosen Präsidenten Georgios Vassilon. Heftiger Gegner von Zugeständnissen im Süden ist die liberal-konservative Partei des ehemaligen Präsidenten Kyprianou. Eine politische Mehrheit für Butros Ghali könnte auf beiden Seiten zu erhalten sein.
Einmütigkeit
Zwar haben auch in der Vergangenheit UN-Generalsekretäre Konföderations-Lösungen für die Insel vor Kleinasiens Küste vorgelegt. Doch zur Zeit arbeitet der Sicherheitsrat so einmütig wie nie zuvor an der Lösung des Zypern-Problems. Seit dem Ende der UdSSR ziehen vor allem die ständigen Mitglieder bei internationalen Konflikten an einem Strang: Vetos sind selten geworden. UN-Generalsekretär Butros Ghali hat seinen Diplomaten, die in diesen Tagen zwischen den beiden Hälften Nikosias hin- und herpendeln, einen straffen Zeitplan verordnet. Bereits im Juni soll ein diskussionsfähiger Entwurf für ein Rahmenabkommen stehen. Im Juni oder Juli soll in New York eine Gipfelkonferenz stattfinden.
Dabei wird es nicht ohne Griechenland und die Türkei gehen, die jeweils als Mutterland gelten und ja auch mitschuldig an der Teilung waren und — das gilt vor allem für die Türkei — es noch sind. Vor allem Ankara ist es in den vergangenen Monaten gelungen, die Verhandlungsposition Nordzyperns zu verbessern. Der von der Türkei gesponserte Mini-Staat war bislang ausschließlich von Ankara anerkannt. Doch die Reisen des türkischen Ministerpräsidenten Süleiman Demirel in die türkischsprachigen Ex-Sowjetrepubliken haben zumindest schon zur Anerkennung durch einen anderen Mini-Staat geführt: Naschichewan, die kleine aserbaidschanische Exklave südlich von Armenien mit einer kurzen Grenze zur Türkei.
Die Mauer von Nikosia
Ein mächtiger Befestigungsring umgibt Nikosias Altstadt. Die Venezianer bauten ihn 1567 bis 1570 als Schutz vor den Türken. Als die Osmanen kurz darauf tatsächlich kamen, hielt die Stadtmauer der Belagerung ganze sieben Wochen stand. Erst achtzehn Jahre alt ist die erheblich unscheinbarere Mauer quer durch die Altstadt. Als Menschensperre ist sie — sarkastisch gesagt — erheblich effizienter als das Festungswerk der Venezianer. Griechen wie Türken dürfen im Regelfall nicht auf die andere Seite. Da ist es schon eine Zeitungsnachricht wert, wenn — wie Anfang Mai — sechs türkische Künstler herübergelassen werden, um zusammen mit griechischen Künstlern auszustellen. Thema aller Arbeiten: Frieden auf Zypern und das Zusammenleben der zwei Volksgruppen.
Kontakte zwischen den Menschen gibt es häufiger als früher, aber sie bleiben schwierig. Zur Nachricht gehört nämlich auch, daß vier türkische Künstler nicht zur Ausstellungseröffnung in den Süden kommen konnten. Sie durften die Mauer nicht passieren. „Mauer“ ist übrigens sicherlich zuviel gesagt. Auf der griechischen Seite: provisorische Holzverschläge als Wachhäuschen oder Abfertigungsstelle am einzigen Checkpoint für Ausländer — auf der türkischen ein Zollhaus aus Beton. Im Süden weisen Straßenschilder den Weg nach den für sie unerreichbaren Orten, so als gäbe es die Grenze nicht. Der Norden hat jede Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit getilgt: Alle Ortschaften tragen jetzt ausschließlich türkische Namen. Um uns die Orientierung auf der von den Griechen herausgegebenen Karte zu erleichtern, zählt unser Taxifahrer beim Vorbeifahren die alten griechischen Ortsnamen auf. Nicht ohne Stolz, doch könnte er ebenso gut die Namen aus der Römerzeit nennen; beide Male würde es sich anhören, als hätte er im Geschichtsunterricht besonders gut aufgepaßt. Beide Seiten Zyperns werden schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Doch beide scheinen auch einzusehen, daß ihnen die Vereinigung Vorteile bringen würde. Zum Beispiel die EG-Mitgliedschaft, die Südzypern 1990 beantragte —, sie wäre für ein geteiltes und zur Hälfte besetztes Land wohl undenkbar.
Wie sagt unser Taxifahrer? „Ein geeintes Land wäre besser, der Lebensstandard würde steigen. Ich meine damit kein Zusammenleben. Die Volksgruppen sollen getrennt leben, nach außen soll es eine Regierung geben — aber zusammenleben? Vielleicht in vielen Jahren einmal, wenn wir vergessen haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen