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Aschenbecher auf Küchentisch

Rainer Werner Fassbinder — Eine Ausstellung am Alexanderplatz  ■ Von Mariam Niroumand

Von der Friedhofsruhe, die früher manchmal über dem Alexanderplatz lag, ist heute nichts mehr zu spüren. Blitzschnelle Hütchenspieler, bettelnde Punks, disputierende Stehversammlungen bei „Gold Chicken“ und rot-weiße Brotkörbchen im Café am Springbrunnen bilden das Ambiente der großen Ausstellung zu Rainer Werner Fassbinders zehntem Todestag im Fernsehturm. Die Ausstellung steht im Zentrum einer Werkschau, die von der Fassbinder Foundation in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Filmmuseum und der Stiftung Deutsche Kinemathek erarbeitet wurde. Sie wird von einer Retrospektive im Arsenal und Babylon, von Open-air-Vorführungen und von Veranstaltungen im Filmmuseum Potsdam flankiert.

Schon ein flüchtiger Blick durch die Ausstellungsräume verrät, daß die Show an diesem Ort, in Berlin Alexanderplatz, in jeder Beziehung gut aufgehoben ist: Nicht nur war die vierzehnteilige Fernsehserie Berlin Alexanderplatz ein Kulminationspunkt in Fassbinders Werk; nicht nur ist die historische und gegenwärtige Zentralität des Ortes Fassbinders Stellung im deutschen Künstler-Pantheon angemessen; die Ausstellung wendet sich explizit auch an ein Laufpublikum, speziell das östliche, das über lange Jahre höchstens Die Ehe der Maria Braun zu sehen bekam.

Entsprechend schnell greift sie nach dem Besucher: Erlebnisraum statt Büffelbude ist das Motto, und man wird zunächst durch eine lange Allee aus von Bausteinen umkränzten Videogeräten vor Silberfolie gelotst, in denen alle von Fassbinder gedrehten Spielfilme (einschließlich je einem Gerät für jeden Teil der Fernsehserien Berlin Alexanderplatz oder Acht Stunden sind kein Tag) gleichzeitig laufen. In dieser Kakophonie amalgamieren alle Filme zu einem einzigen. Der Unterschied zu den Videoinstallationen von Nam June Paik oder dem Verkaufspark von Fernseh-Wegert, wo aus Filmen Flickenteppiche werden, entsteht durch die übermächtige Präsenz bekannter Porträts; kaum je sieht man eine Landschaft, dafür Günther Lamprecht schreien, Kurt Raab stammeln, Gottfried John schmunzeln oder Irm Hermann vorsichtig lächeln.

Museumstechnisch knüpft das an die ersten öffentlichen Museen, die Ahnengalerien aufgeklärter Königshäuser an und setzt den Ton der Ausstellung als Hommage; sie will im Gegensatz zu anderen biographisch- kulturhistorischen Ausstellungen wie denen über Bismarck oder Uwe Johnson kein kritisches Milieu erzeugen. Begleittexte gibt es nicht.

Die Treppe hinauf findet man sich zwischen Holzwänden im schummrigen Halbdunkel, das manchmal jäh von Scheinwerfern an Drehort- Nachbauten erhellt wird. Der Geisterbahn-Effekt, von dem Hanna Schygulla in der Pressekonferenz sprach, entsteht durch diese Inszenierungen ebenso wie durch die eigenartige Präsenz Fassbinders, die das Ganze durchzieht. Da sind Kinderzeichnungen des 1945 im bayerischen Bad Wörishofen geborenen Rudolf-Steiner-Schülers: ein Clown, dessen Gesicht aus bunten Dreiecken besteht, ein Frauenporträt in azurblauen Aquarellfarben mit einem Knick in der Mitte und daneben ein Schüleraufsatz, in dem Fassbinder sich als der Schnittpunkt eines Dreiecks bezeichnet, der schon von dem Radiergummi eines Schuljungen ausgelöscht werden könne. Dann Fassbinder mit sechzehn im Immobilienbüro seines Vaters, der ursprünglich Arzt gewesen war und auf dem Foto wie der typisch dynamische Jungunternehmer der fünfziger Jahre aussieht; dann der Fußballer Fassbinder, der Halbstarke.

Viel Raum gibt die Ausstellung den Theateranfängen Fassbinders, der Zeit beim Action Theater in München der sechziger Jahre, als Fassbinder durch die Aneignung von Texten und Techniken des „Theaters der Grausamkeit“ Artauds, des Living Theatre Brechts oder Marie Luise Fleißers, die er mit Einlagen von Comic strips, Rock-Texten oder Mao Tse-tungs Worten versetzte, Stücke wie Blut am Hals der Katze oder Preparadise Sorry Now schrieb. Leider erschöpft sich die Auseinandersetzung mit dieser Phase in bloßer Präsentation von Programmheften und Szenenfotos. Eine Litfaßsäule mit aufgeklebten Zeitungsausschnitten soll impressionistisch einen Zeitbezug liefern: Notstandsgesetzgebung, das obligatorische Ohnesorg-Foto oder Willy Brandt beim Abschluß der Ost-West- Abkommen ersetzen die nachdenkliche Beschäftigung mit den inhaltlichen und formalen Implikationen des „anti-theaters“ für Fassbinders spätere Arbeiten. Höchstens in den Interviews, die erfreulicherweise an verschiedenen Orten der Ausstellung implantiert sind, spricht er selbst über Themen wie das Zusammenarbeiten im Kollektiv („das waren Leute, die suchten eigentlich auch nur einen Papa oder eine Mama“), sein Verhältnis zu Brecht oder zu den verschiedenen Medien (er will filmisches Theater und theatralischen Film). Mich hätte zum Beispiel interessiert, welche Bedeutung Fassbinders Lust am Zerlegen in Einzelteile, sein sprachlicher Minimalismus hat. Welche Rolle das Bayerische spielt. Wo genau steht er zwischen Brecht, Artaud und Fleißer?

Das Zentrum der Ausstellung ist Berlin Alexanderplatz. Mehrere Kopfsteingäßchen im Zille-Stil führen darauf zu, in denen Produktionsunterlagen, Bauentwürfe, Exposés und Recherche-Fotos zu sehen sind. Im dunkelsten und — wie ich finde — gelungensten aller Räume hört man Fassbinder leise und konzentriert das Drehbuch diktieren, dazu sieht man an vier Wänden Dias aus dem Film, die sich echohaft ablösen. In der sehr ruhigen Installation kann man studieren, wie Fassbinder einerseits und Lamprecht andererseits nicht nur einen Charakter konstruiert und dekonstruiert haben, sondern auch, wenn man ein bißchen stehenbleibt, wie sie ein Stück „Geschichte des Privaten“ geschrieben haben.

Besonders da, wo es direkt um das Filmschaffen Rainer Werner Fassbinders geht, offenbart die Ausstellung, daß sie lieber Schatzkästchen sein als Diskussionsstoff bieten will. Zum Greifen nahe Biberkopfs Mantel, noch mit beiden Ärmeln dran; in Rotlicht getaucht die Plüschsessel aus Querelle und ein Modell der Kunstlandschaft für diesen Film, in dem vielleicht wie in keinem anderen die Sexualisierung der Verhältnisse auf die Spitze getrieben ist. Kann man sagen, daß der Sado-Masochismus eine Art Formsprache ist bei Fassbinder? Wann wird sich eine Ausstellung mal auf dieses Terrain wagen?

Aber ich will nicht mäkeln. Ich freue mich auch über die bekritzelten Drehbücher, wenn da steht „Franz amerikanisch auf seinem Stuhl“, mit den kleinen Zeichnungen, in denen man genau sieht, warum da jetzt eine Großaufnahme sein muß und warum Ballhaus genau der richtige Kameramann für ein bestimmtes Problem ist. Ich freue mich auch über den Nachbau der Münchner Wohnung, den überquellenden Aschenbecher auf dem länglichen Küchentisch, die Matratze mit Tagesdecke aus den indisch-schmückenden Sechzigern, die kleinen kitschigen Buddhas auf seiner Kommode oder den 'Stern‘ mit dem Titel „Die Scheidung des Jahres: Romy Schneider“.

Doch wundert mich, wie eine moderne Ausstellung völlig kritiklos in Ästhetik und Choreographie einem Geniebegriff des 18. oder 19. Jahrhunderts verfallen kann. Die Bretterbuden, auf denen das Ablehnungsschreiben klebt, das Fassbinder von der Deutschen Film- und Fernsehakademie bekam, sollen die uns etwa bedeuten: Klar, daß er von der akademisch-institutionalisierten Kunst verkannt wurde, diesem tintenklecksenden Kastraten-Verein? Die zwei Schneidetische, der Flipper-Automat, sollen die den autodidaktischen Craftsman und Bricoleur illustrieren? Wo ist der Raum, der sich mit dem Konzept des Autorenfilms, der Struktur der Deutschen Filmförderung und deren ästhetischen Auswirkungen beschäftigt?

Auf den Vorwurf „zuviel vita — zuwenig oevre“ reagierten die Ausstellungsmacher mit einer ähnlichen Replik, wie sie schon bei den Jüdischen Lebenswelten zu hören war: Die Ausstellung sei nicht enzyklopädisch, sondern selektiv angelegt und solle nur im Rahmen der gesamten Werkschau betrachtet werden. Man wolle in erster Linie dazu anregen, die alten Filme noch einmal zu sehen. Das ist der Ausstellung auf jeden Fall mehr als gelungen. Sie beschert dem Osten Berlins einen wichtigen Teil Atmosphäre der sechziger und siebziger Jahre, nach denen dort vielleicht Nachholbedarf besteht, und dem Westen ein liebevoll zusammengestelltes Familienalbum.

Rainer Werner Fassbinder. Ausstellung am Fernsehturm, Berlin Alexanderplatz. Di.-Fr. von 10 bis 20 Uhr, Sa./So. von 10 bis 22 Uhr, Montag geschlossen

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