: Warum nicht gleich krank und arm?
■ Bonner Gesundheitsministerium plant, Patienten stärker zur Kasse zu bitten/ Arztbesuch soll mit zehn Mark bezahlt werden/ Selbstbeteiligung soll Kosten im Gesundheitswesen dämpfen
Berlin (taz) — Wieviel ist der Bonner Regierung die Volksgesundheit wert? Offenbar kaum mehr als ein Placebo. Die Pläne zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, die das Seehofer-Ministerium in den nächsten Tagen vorlegen will, machen niemanden gesünder: die Krankenkassen nicht und erst recht nicht die PatientInnen. Noch gestern weigerte sich das Gesundheitsministerium, den Maßnahmenkatalog offiziell zu bestätigen. Doch so gut wie sicher ist, daß der Kranke in Zukunft für sein Gebrechen finanziell bestraft wird.
So soll er unter anderem künftig für jeden Arztbesuch zehn Mark Gebühren zahlen; der Tagesbeitrag in Krankenhäusern wird in den ersten zwei Wochen statt bisher zehn, zwanzig Mark kosten; am Zahnersatz soll sich der Patient statt mit 40 mit 60 Prozent beteiligen; für Medikamente müssen 10 Prozent dazugezahlt werden, maximal 10 Mark. Zusätzlich will der Gesundheitsminister Arzthonorare, Krankenhauskosten und Pharmapreise für zwei Jahre einfrieren.
Sollte sich diese Variante der Gesundheitsreform in der Koalition durchsetzen, ist dem Solidarprinzip eine klare Absage erteilt: Nicht der Kranke profitiert, sondern der gesunde Versicherte, der möglichst wenig Leistungen in Anspruch nimmt. Nach Berechnungen der SPD würden die Patienten mit 8,5 Milliarden pro Jahr zusätzlich belastet. Chronisch Kranke, Alte und Behinderte wären am härtesten betroffen.
Auch gesundheitspolitisch zeugen diese Überlegungen von der typischen Bonner Kurzatmigkeit: Früherkennung, eine der wichtigsten Instrumentarien, um Heilkosten zu sparen, ist extrem gefährdet. Weiterhin scheinen die Politiker zu vergessen, daß nicht nur Apparatemedizin und Medikamentierung, sondern auch die psychosoziale Betreuung von PatientInnen zum Gesundheitswesen gehört — und letztlich Krankheiten vorbeugen hilft.
„In diesem Bereich geht es um Befindlichkeit, da kann man nicht rein marktwirtschaftlich handeln“, moniert Horst Peter, Mitglied im Gesundheitsausschuß der SPD. „Dieses Kostendenken ist gesundheitspolitisch unverantwortlich und zeugt von einem antiquierten Kostendämpfungsdenken.“ Strukturreformen würden dabei völlig ausgeklammert. Schon jetzt könne man ohne eine Gesetzesänderung effektiv sparen, wenn das Gesundheitsministerim seine Verordnungsermächtigung ernst nähme. Spielt man die „ungerechteste Variante der Gesundheitsreform“ (Peter) einmal an einem Beispiel durch: Eine alte Frau, die an einer chronischen Herzschwäche leidet, muß mindestens einmal wöchentlich zur Kontrolle zum Arzt. Das kostet sie im Monat bereits 40 Mark. Braucht sie nur zweimal monatlich neue Medikamente, kommen weitere 20 Mark hinzu. Legt man eine Rente von 700 Mark zugrunde, muß die Patientin schon fast ein Zehntel ihres Einkommens für die regelmäßige Untersuchung und Medikamentierung ausgeben.
Wie würde CSU-Minister Seehofer auf dieses Rechenexempel reagieren? Er würde selbstverständlich eine Härtefallregelung vorschlagen. Die aber wird gerade von den bedürftigsten PatientInnen selten in Anspruch genommen. Bascha Mika
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