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Verfahrenshickhack zum Prozeßauftakt

In Frankfurt begann gestern der sogenannte „Holzschutzmittelprozeß“/ Die Geschäftsführer der „Desowag“ werden von Staranwälten verteidigt/ Einstellungsantrag abgeschmettert  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Schon der Prozeßauftakt war ein Paukenschlag: Im größten Umweltstrafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik beantragte die Verteidigung— allerdings vergeblich — die Einstellung oder zumindest Vertagung. Vor der 26. Strafkammer am Landgericht in Frankfurt/Main unter Vorsitz von Richter Thomas-Michael Seibert müssen sich Kurt Steiberg und Fritz Hagedorn, Geschäftsführer der Firma „Desowag“-Materialschutz, verantworten.

Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft „gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer Gefährdung von Menschen durch Freisetzung von Giften“ vor. Tausende von Menschen wurden durch die Inhalation der Dämpfe der mit PCP und Lindan hergestellten Holzschutzmittel „Xylamon“ und „Xykadecor“ in ihrer Gesundheit schwer beeinträchtigt (taz vom 1.6.92). Und nach einem Vertriebsverbot in der BRD soll die Firma „Desowag“ mit Sitz in Düsseldorf ihre „Kampfgase“ — so einer der Geschädigten — weiter in Südostasien verkauft haben.

Zahlreiche VertreterInnen von Verbraucherinitiativen und Umweltschutzverbänden und Betroffene, die vielfach ihre neu gebauten Häuser schleifen mußten, weil die giftigen Dämpfe die Räume unbewohnbar machten, waren zum Prozeßauftakt nach Frankfurt/Main gekommen.

Auf der Verteidigerbank im Staatsschutzsaal des Gerichtsgebäudes in der City der Mainmetropole saßen gestern zwei Topadvokaten: Die Rechtsanwälte Hamm und Dörr waren bereits im spektakulären „Transnuclear“-Prozeß vor dem Hanauer Landgericht die Verteidiger der angeklagten Atommanager und Staatsbeamten aus dem hessischen Umweltministerium. Und Hamm war einer der Nebenklägervertreter im Prozeß gegen den Flugzeugentführer Mohammed Hamadi. Der smarte Hamm, der den 67 Jahre alten Ex-Geschäftsführer der „Desowag“, Kurt Steinberg, verteidigt, verlangte zu Prozeßeröffnung die Einstellung des gesamten Verfahrens, respektive die Aussetzung des Prozesses. Nach Auffassung von Hamm und Dörr habe die Staatsanwaltschaft den Anwälten erst am vergangegen Donnerstag die erweiterte Anklageschrift zugestellt — „und die Angeklagten haben diese neue Anklageschrift bis heute nicht erhalten“.

Hamm monierte, daß unter diesen Umständen eine „ordentliche Verteidigung“ nicht stattfinden könne: „Es werden hier neue Fälle mit völlig neuen Krankheitsbildern in den Prozeß eingebracht, ohne daß die Verteidigung Gelegenheit hatte, diese Fälle durch medizinische Sachverständige prüfen zu lassen.“

Tatsächlich hatten die Staatsanwälte Erich Schöndorf und Reinhardt Hübner die vom Oberlandgericht Ende 1991 zugelassene Anklage gegen Steinberg und Hagedorn um sogenannte Altfälle erweitert. Sowohl die Staatsanwälte als auch die NebenklagevertreterInnen um den Frankfurter Rechtsanwalt Christoph Kremer vertraten vor Gericht die Auffassung, daß sich mit der Hinzuziehung der „Altfälle“ lediglich die Zeugenliste erweitere. Die strafrechtlich relevante Substanz der Anklageschrift — gefährliche Körperverletzung und vorsätzliche gefährliche Körperverletzung — sei von der Erweiterung der „Fälle“ nicht tangiert, erklärte Staatsanwalt Schöndorf auf Nachfrage des Gerichts.

Nach einer Prozeßpause von knapp zwei Stunden wies der Vorsitzende Richter Seibert die Anträge der Verteidigung auf Prozeßeinstellung oder -aussetzung zurück. Seibert berief sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), der im Zusammenhang mit dem Mainzer „Lederspray-Prozeß“ (Erdal) die Neuaufnahme von Betroffenen in die Geschädigtenliste der Anklageschrift für legitim erachtete. Im Anschluß an die Entscheidung Seiberts verlas die Staatsanwaltschaft die umfangreiche Anklageschrift.

Der Prozeß wird heute fortgesetzt. Wie Rechtsanwalt Hamm schon zu Prozeßbeginn erklärte, habe er seinem Mandanten empfohlen, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

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