: Mehr Sozialhilfeempfänger im Osten
■ Sozialwissenschaftliche Untersuchung: Häufigste Ursache ist Arbeitslosigkeit/ Frauen stark betroffen
Berlin. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger steigt im Ostteil der Stadt rapide an. Während die Zahl zwischen Dezember 1990 und September 1991 in West-Berlin um sieben Prozent wuchs, schnellte sie in Ost- Berlin um 70 Prozent in die Höhe. Die häufigste Ursachen für den Sozialhilfebezug, der pro Monat in Ost- Berlin maximal 468 und in West- Berlin 483 Mark für Haushaltsvorstände und Alleinstehende beträgt, sei die Arbeitslosigkeit, schreiben die beiden Sozialwissenschaftlerinnen Gabriele Bothin und Regina Wunsch in einer Studie mit dem Titel »Leben in Armut in Ost-Berlin«, einem Unterprojekt von »Chancen, Konflikte und Potentiale des sozialen Handelns in den neuen Ländern«. Das Projekt wird von der Koordinierungs- und Aufbauinitiative für die Forschung in den neuen Ländern und Berlin e.V. verwaltet, die insgesamt 1.550 Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern betreut.
Die Wissenschaftlerinnen prognostizieren in ihrer neunseitigen Studie für den Ostteil der Stadt steigende Armut durch wachsende Arbeitslosigkeit. Sie schreiben: »Durch die Übertragung des wirtschaftlichen und sozialen Systems der Bundesrepublik auf das Gebiet der ehemaligen DDR sind strukturelle Veränderungen eingetreten, die zu einem weitgehenden Zusammenbruch des Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssystems in den neuen Bundesländern geführt haben. Das Ende dieses Prozesses und seine Folgen sind zur Zeit noch nicht abzuschätzen.« Mehr als die Hälfte der 1989 in der DDR Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz eingebüßt, heißt es in dem Papier der beiden ABM-Kräfte, die bis zur Abwicklung im Zentralinstitut für Hochschulbildung des DDR- Ministeriums für Hochschulwesen arbeiteten.
Im Westteil Berlins erhalten 38 Prozent der Arbeitslosen Sozialhilfe, im Osten seien es bislang erst sieben Prozent, allerdings mit steigender Tendenz. Es bestehe die Gefahr, daß der Umfang der Sozialhilfe in Ost-Berlin bald die Dimension West-Berlins erreiche, wenn nicht gar schnell überschritten werde. Betroffen seien vor allem Frauen, die auch in der DDR im Schnitt ein Viertel weniger verdienten als Männer.
Bei der Untersuchung des Armutsphänomens wandten sich die Autorinnen dem einst industriereichen Stadtbezirk Köpenick zu, wo sechs der größten Betriebe in diesem Jahr nur noch 22 Prozent ihrer ursprünglichen Mitarbeiterzahl beschäftigen. »Im industriellen Bereich werden in den nächsten Jahren weitere Arbeitsplatzverluste eintreten, die durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze kaum kompensiert werden können«, heißt es in der Studie. Die bisherige Entwicklung des Verarmungsprozesses lasse erkennen, daß Armut keine Einzelerscheinung in den neuen Bundesländern bleiben werde. markstein
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