: In China sind noch Tausende in Haft
Gestern nur vereinzelte politische Proteste/ Hoffnung auf die „Bewegung für den Kapitalismus“ ■ Aus Peking Catherine Sampson
Drei Jahre nach der brutalen Niederschlagung der demokratischen Proteste in Peking haben sich die meisten derjenigen, die 1989 Revolution machten, dem Geldmachen zugewandt. Die Bewegung für die Demokratie ist so gut wie tot, und aus ihrer Asche ist eine Bewegung für den Kapitalismus erstanden.
So kam es in diesen Tagen nur zu vereinzelten politischen Protesten: Als ein Mann es gestern wagte, auf dem Tiananmen-Platz ein regierungskritisches Transparent zu entrollen, wurde er sehr schnell von etwa drei Dutzend Polizisten festgenommen. Mit aller Härte ging die Polizei auch gegen ausländische Journalisten vor, die sich auf dem Platz befanden. Drei von ihnen, darunter auch der 'dpa‘-Korrespondent Edgar Bauer, wurden verhaftet und weitere gewaltsam an ihrer Arbeit gehindert.
Für die Bewegung für den Kapitalismus, in die sich viele Dissidenten von gestern heute eingereiht haben, gab der Altpolitiker Deng Xiaoping Anfang des Jahres grünes Licht. Er sagte, China solle sich die „vier kleinen Drachen“ Asiens zum Vorbild nehmen — Taiwan, Singapur, Südkorea und Hongkong. Dabei hob er besonders den kleinen Stadtstaat Singapur hervor, der ihm nicht nur als Modell nachzuahmenden Wirtschaftswunders, sondern auch rigider sozialer Kontrolle gefällt.
Deng spricht immer noch von einem „Sozialismus chinesischen Typs“. Doch er scheint nun eine Zukunft zu akzeptieren, in der es weiterhin eine diktatorische Führung gibt, wo jedoch freies Unternehmertum die Wirtschaft führt und der Kommunismus keine Rolle mehr spielt. Dies ist Dengs stille Revolution.
Der überwiegende Teil derjenigen, die Deng vor drei Jahren verurteilten, unterstützt nun seinen jüngsten politischen Schritt. Durch die Armeeaktion vom 4.Juni 1989 mundtot gemacht, sehen sie eine allmähliche Evolution zum Kapitalismus als einzigen Weg für China, ohne massives Blutvergießen und ohne lange Schlangen vor den Lebensmittelläden.
Die Regierung in Peking setzt auf Wirtschaftsreformen zur Befriedigung der Bevölkerung und reagiert zugleich mit eiserner Hand gegenüber jenen, von denen sie meint, daß sie sich nicht kaufen lassen. Auf internationalen Druck hin wurden einige bekannte Dissidenten freigelassen. Doch nicht nur amnesty international weist darauf hin, daß immer noch Tausende in Haft sind.
Ex-Parteichef Zhao Ziyang ist weiterhin faktisch unter Hausarrest, und drei seiner wichtigsten Berater warten noch auf ihren Prozeß. Andere, wie die Journalistin Dai Qing, der in dieser Woche die Wiedereinreise nach China verweigert wurde, wurden zum Studium ins Ausland geschickt.
Die Menschen in Peking sprechen offen und unverblümt darüber, daß ihre Prioritäten sich von der politischen Veränderung hin zu ausländischen Devisen gewandelt haben. Eine Gang über die Straßen in Peking bezeugt die Veränderungen der vergangenen drei Jahre. Tausende von Autos tragen ein P oder ein F auf dem Nummernschild, es handelt sich um Privatfahrzeuge. Und in jeder Männergruppe trägt mindestens einer einen Pieper an seinem Gürtel, der ihn lautstark auf einen wichtigen Geschäftsanruf hinweist.
Zhang Jianguo, ein Intellektueller mittleren Alters, hat seinen Zorn und seine Bitterkeit von 1989 mit dem Management eines privaten Unternehmens sublimiert, das auch Studenten beschäftigt, die an der Demokratiebewegung teilgenommen hatten.
Im privaten Gespräch kritisiert Zhang, der darum bat, seinen richtigen Namen nicht zu nennen, weiterhin die Regierung und erklärt, die Führung eines Privatunternehmens sei auch ein politischer Akt. Schließlich kann ein solches, außerhalb der direkten staatlichen kontrolle liegendes Unternehmen ein kleines, halb- unabhängiges Reich schaffen, das nicht von politischen Notwendigkeiten diktiert wird. Eines Tages, so hofft er, wird ein blühender privater Sektor den massiven, aber unprofitablen Staatsektor allmählich unterminiert haben und damit auch die kommunistische Herrschaft.
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