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Verbrechen schockt Gegengipfel in Rio

Prominenter Indianerhäuptling vergewaltigt 18jähriges Mädchen/ Auch die Zerstrittenheit der Indianerdelegationen schadet ihrem Anliegen und verwirrt die Öffentlichkeit  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz) — Eine Woche nach der Eröffnung des UNO-Umweltgipfels (UNCED) in Rio de Janeiro erlitt der Mythos vom „edlen Wilden“ einen schweren Schlag. Am vergangenen Freitag wurde der brasilianische Indianer Paulinho Paiakan, Häuptling vom Stamm der Caiapo im Süden des Bundesstaates Para, wegen Vergewaltigung und Folter eines 18jährigen Mädchens festgenommen. Das mit unglaublicher Grausamkeit begangene Verbrechen blieb eine Woche lang unter Verschluß und gelangte erst am Sonntag durch eine Veröffentlichung in der brasilianischen Zeitschrift 'Veja‘ ans Licht.

Paulinho Paiakan, Preisträger des UNO-Umweltpreises „Global 500“, wurde noch vor kurzem von der US- Zeitung 'Washington Post‘ als ein „Mann, der die Erde retten kann“ bezeichnet. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und der englische Prinz Charles zählen zu seinen Verehrern. In der vergangenen Woche sollte der 37jährige auf dem Gegengipfel der Umweltschützer, genannt „Global Forum“, im Flamgeno- Park in Rio neben dem Dalai Lama und Shirley McLaine seinen großen Auftritt haben. Doch er erschien nicht.

Das Verbrechen ereignete sich bereits am Sonntag vor zwei Wochen, als Paulinho Paiakan seine Nachbarin, die 18jährige Schülerin Silvia Leticia da Luz Ferreira, zu einer Grillparty einlud. Auf dem Heimweg begannen der betrunkene Indianer und seine Frau Irekran das Mädchen zu vergewaltigen. Die 18jährige wäre an den zahlreichen Bissen und Schlägen beinahe verblutet. Paiakans fünfjährige Tochter saß auf der Rückbank des Autos und mußte alles mitansehen.

„Die medizinischen Untersuchungen beweisen, daß es bei der Vergewaltigung zu kannibalistischen Ritualen gekommen ist, von denen man meinte, sie existierten nicht mehr“, berichtet der Polizeiinspektor Jose Barbosa de Souza aus der Stadt Redencao, 750 Kilometer von der Landeshauptstadt Belem entfernt. Über die Motive der „Explosion des wilden Instinkts“, wie die Zeitschrift 'Veja‘ die Vergewaltigung nannte, gibt es keine Auskunft. Paiakan galt bisher als Inbegriff des einfachen, aber weisen Indianers, der es versteht, in völliger Harmonie mit der Natur zu leben.

Die Caiapo, zu denen auch die Häuptlinge Raoni und Tutu Pombo gehören, sind einer der reichsten Indianerstämme Brasiliens. Tropische Edelhölzer im Wert von schätzungsweise 120 Millionen Dollar befinden sich in dem 32.000 Quadratkilometer großen Reservat im Süden des Bundesstaates Para. Das Recht, die Naturschätze in ihrem Gebiet auszubeuten, hat einige der 2.000 Caiapo, darunter Tutu Pombo und Paiakan, zu Millionären gemacht.

Nicht nur das Verbrechen, auch die Zerstrittenheit der Indianer untereinander wirkt sich während des Umweltgipfels in Rio extrem negativ für die Ureinwohner Lateinamerikas aus. Kaum war das weltweite Indianertreffen in der „Kari-Oca“, einer eigens anläßlich der UNCED errichteten Indianersiedlung, vorüber, begann auf dem „Global Forum“ ein zweiter internationaler Indianerkongreß. Gesteigert wird die allgemeine Verwirrung noch durch die gleichzeitige Tagung des sogenannten Erdparlaments, zudem sich in Rio etwa tausend Ureinwohner aus 85 Ländern versammelt haben.

Mario Juruna, Indianer vom Stamm der Xavante und ehemaliger Abgeordneter des brasilianischen Parlaments, schert sich ebenfalls nicht um die romantischen Vorstellungen der Umweltschützer. Mitten im Flamengo-Park bietet der Häuptling ein 2,50 Meter großes Jaguarfell für den stattlichen Preis von 600.000 Dollar feil. Juruna hat die Raubkatze eigenhändig in seinem Heimatstaat Mato Grosso erlegt. „Keiner wird mich daran hindern, das Fell zu verkaufen. Wenn die Indianer frei wären, würden sie Krokodil- und Schlangenhäute und die Felle anderer Raubkatzen verkaufen“, verteidigt sich der ehemalige Abgeordnete auf dem „Global Forum“.

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