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Ein Land erstickt am Wohlstand

IWF-Musterschüler Südkorea: Die Kehrseite des schnellen Wirtschaftswachstums ist der Umweltruin  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Südkoreas Hauptstadt Seoul gilt heute als drittdreckigste Stadt der Welt, eingehüllt in einen Schleier von Schwefeldioxid, Blei, Cadmium und Kohlemonoxiden — die Kehrseite von 30 Jahren hemmungsloser nachholender Wirtschaftsentwicklung. Doch selbst der umweltbewußte Wissenschaftler Yoo Jae Hyon weiß nicht, welchen anderen Weg sein Land hätte gehen können: „Welche Möglichkeiten hatten wir damals schon als einer der ärmsten Staaten der Erde?“ Damals, das war in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre. Südkorea, am Tropf seines engsten Verbündeten USA, gehörte zur untersten Kategorie der Entwicklungsländer mit einem Pro- Kopf-Einkommen unter 100 Dollar.

Heute, nur 30 Jahre später, ist das ostasiatische Land die zwölftgrößte Handelsnation der Welt, einer der größten Schiffbauer, Stahl- und Elektronikproduzenten. Auf Erfolgskurs hatte Diktator Park Chong Hee Südkorea Mitte der sechziger Jahre getrimmt, als er dem Land die Exportindustrialisierung verordnete. Mit Niedrigstlöhnen und einer ruhiggestellten Arbeiterschaft, mit Sonderkrediten für Großkonzerne und rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur setzte Park eine Aufholjagd in Gang, die das Land zu einem Paradebeispiel für nachholende Entwicklung werden ließ und zu einem Musterschüler von Weltbank und IWF machte.

Doch drei Dekaden hemmungsloser wirtschaftlicher Modernisierung haben den „kleinen Tiger“ an den Rand des Umweltruins gebracht. „Die koreanische Halbinsel“, schrieb der protestantische Kirchenrat kürzlich in einer Umweltanalyse, „ist auf dem besten Weg, eines der meistverschmutzten Ländern der Erde zu werden“. Nach neuesten Messungen der Seouler Nationaluniversität überschreitet allein der Schwefeldioxidgehalt der Luft in Seoul im Durchschnitt die von der Weltgesundheitsorganisation gesetzte Norm um ein Vierfaches.

Hauptursache der zunehmenden Luftverschmutzung sind unkontrollierte Emissionen fossiler Brennstoffe durch Unternehmen und Haushalte sowie eine rapide ansteigende Motorisierung. Waren 1980 gerade 0,5 Millionen Kraftfahrzeuge registriert, kletterte die Zahl im vergangenen Jahr schon auf über vier Millionen. Bis zum Jahr 2000 soll sie sich noch einmal vervierfachen. Die Seouler Regierung hat ganz auf Individualverkehr gesetzt, dem Inbegriff von Freizeit und neuem Wohlstand.

Über 80 Prozent des Bedarfs an Energie, dem Schmiermittel der wirtschaftlichen Modernisierung, deckt das Land mit importiertem Rohöl, Erdgas und zum Teil mit heimischer Kohle. Alternative Energiequellen gibt es praktisch nicht, sie werden auch kaum gefördert. Gleichzeitig pflastert die Regierung die Halbinsel, kaum größer als Österreich, mit Atomkraftwerken zu. Elf Anlagen sind in Betrieb, und bis zum Jahre 2030 sollen 50 weitere ans Netz gehen.

Über die Lagerung des nuklearen Mülls besteht dagen völlige Unklarheit. Als die Regierung Ende 1990 auf der Insel Anmyon im Westen dem Landes eine Sondermülldeponie bauen wollte, hagelte es Proteste der AnwohnerInnen. Gegen die Ausbreitung des NIMBY-Syndroms („Not In My Back-Yard“/Nicht in meinem Hinterhof), wie sie die Bürgerproteste abwertend nennt, hat die Regierung eine Kampagne entfacht und will mit finanziellen Anreizen das Problem aus der Welt schaffen.

Ob Luft, Boden oder Wasser, dem wirtschaftlichen Wachstum wurde die Umwelt geopfert. Die 42 Millionen SüdkoreanerInnen produzieren heute den weltweit größten Müllberg — 84.000 Tonnen pro Tag und 2,3 Kilogramm pro Kopf. Und umweltbewußtes Verhalten ist unter VerbraucherInnen in Südkorea nicht weit verbreitet. Je mehr Waschmittel, desto sauberer die Wäsche, je stärker das Arzneimittel, desto schneller die Heilung; und der private Pkw muß erst einmal 30 Minuten mit laufendem Motor vorgeheizt werden. Keine Ware geht über den Ladentisch, bevor sie nicht zweimal in Papier eingewickelt und in Plastiktüten verstaut ist — zum Wohle einer boomenden Verpackungsindustrie.

Giftige Chemikalien werden illegal deponiert, weil Umweltgesetze löchrig und Strafen mild sind. „Wir Koreaner waren es schließlich“, sagt Yoo vom Forschungsinstitut für ökonomische Gerechtigkeit, „die die ausländischen Chemieunternehmen in unserer Wachstumseuphorie ins Land ließen.“ Ohne Umweltschutzauflagen fanden diese ein profitables Betätigungsfeld für ihre Giftprodukte. Über 1.400 Bauern sterben nach Angaben des Kirchenrates jährlich an Vergiftungen durch Pestizide, oft aus reiner Unkenntnis über sachgerechte Anwendung der hoch- toxischen Chemikalien. In verzweifelten Versuchen, die Produktion zu steigern, werden die wenigen fruchtbaren Ackerflächen überdüngt und die Gesundheit der ganzen Nation gefährdet.

„Unsere Vorfahren“, sagt Professor Kim Jung Uk, „glaubten, daß die Erde nicht den Menschen gehört, sondern daß es genau umgekehrt ist.“ Über Jahrhunderte hätte diese Philosophie, bestärkt durch den buddhistischen Glauben, die Natur geschützt. Doch seit den sechziger Jahren befinde sich Korea auf der Einbahnstraße der Industrialisierung. „Die ökologische Krise“, sagt Volkswirt Yoo, war spätestens zu Beginn der achtziger Jahre absehbar.“ Aber die Regierung habe nichts unternommen. Statt dessen wurde vor allem den Großkonzernen, den Chaebols ein Freibrief zur Verschmutzung der Umwelt gegeben. Über 70 Prozent der Industrieabwässer fließen noch heute unbehandelt in die Flüsse. Viele Gewässer sind praktisch tot, das Leitungswasser ist nicht genießbar.

Doch das Seouler Umweltministerium, erst vor zwei Jahren von einer unbedeutenden Behörde in Ministerialrang gehievt, ist überfordert. Gegen die Wachstumsideologen aus dem Handels- und mächtigen Wirtschaftsplanungsministerium kann sich das kleine Amt kaum durchsetzen. Erklärungen zum Schutz von Natur und Umwelt scheinen kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. „Es ist klar“, schreibt das Ministerium in einem Bericht für die Umweltkonferenz in Rio lapidar, „daß die in Korea betriebene Entwicklungspolitik so in Zukunft nicht mehr fortgesetzt werden kann.“

Rechtzeitig vor Beginn des Erdgipfels hat Südkoreas Regierung noch einmal ein Bekenntnis zum Umweltschutz abgegeben. Zum Abbau des Treibhauseffektes will sie in den kommenden zehn Jahren 350 Millionen Dollar in Umwelttechnologien investieren, einschließlich der Entwicklung von FCKW-Substituten. Tatsächlich ist das Land heute einer der größten Exporteure des Ozon-Killers. Im vergangenen Jahr lag die FCKW-Produktion bei 24.700 Tonnen, für 1992 soll sie gar auf 38.000 Tonnen ansteigen.

Als Unterzeichner des Montrealer Protokolls ist Südkorea zum Abbau von FCKW verpflichtet. Doch bis 1995 ist es noch lange hin, und mit dem Beitritt verfolgte das Land vor allem ein ökonomisches Ziel: „Als Mitglied droht uns kein sofortiges Exportverbot“, sagt Generaldirektor Kim Yoo Chae aus dem Handelsministerium ganz offen. Auf immerhin fast zwei Milliarden Dollar beziffert ein Forschungsinstitut die Produktionsverluste allein in der Elektronik- und Automobilindustrie durch FCKW-Restriktionen.

„Wir müssen unser ökonomisches Entwicklungsmuster ändern, um die Umwelt zu schützen“, fordert deshalb der Wissenschaftler Yoo, „von der Exportorientierung, den Megaindustrien und wirtschaftlicher Gigantonomie wegkommen.“ Er fordert dabei vor allem eine Förderung der Mittel- und Kleinindustrie. Auch südkoreanische Umweltgruppen sind überzeugt, daß nur ein Wandel der Industriestruktur ein harmonisches Verhältnis zwischen Ökologie und ökonomischer Entwicklung bringen kann. Bis in die Regierung jedoch ist diese Erkenntnis noch nicht vorgedrungen.

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