piwik no script img

Kreuzberg und der Kiez — kein Ort, nirgends

■ Ein Debattenbeitrag: Ist die Kreuzberger Mischung nur noch dazu verkommen, daß jeder sich selbstbestimmt kaputtmachen kann? Der Mythos ist so krank wie die halbtoten Fixer auf der Straße/ Politische Lösungen kann dieser Bezirk nicht mehr zustande bringen

Pfingsten zum Mariannenfestplatz zu gehen, ist mit den Jahren zur lieb gewordenen Gewohnheit geworden: Bekannte zu treffen, die sonst der Alltag im Stadtteil verschluckt, Musik zu hören, zwischen den Ständen zu flanieren, auf dem Rasen zu liegen. Die Pfingslust im Kiez. Die Feste in Kreuzberg sind jedoch immer auch Selbstdarstellungen dieses Stadtteils gewesen, mit seinen vielen kulturellen, politischen und sonstwie liebenswürdig verrückten Initiativen. Gerade diese sind in den letzten Jahren immer weniger geworden und scheinen nun vollends verschluckt zu sein.

Ein Unbehagen schleicht sich ein, angesichts all der mühevoll gestalteten Essens- und Getränkestände und diese träumen noch multikulturell, schließlich Krims und Krambuden. Denn es ist ein politischer Akt, die richtigen T-Shirts zu tragen. Ist es nur noch das, womit sich die Leute beschäftigen: »Eine feste Burg ist unsere Freßbude«. »Worin unterscheidet sich dieses Fest überhaupt noch«, denke ich, als ich beinahe über den auf dem Boden sich langziehenden Sonnenbrillenstand mit großem Spiegel gestolpert wäre, »von irgendeinem Konsumfest auf dem Ku'damm. Sind es nur die fehlenden Stuyvesant-Sonnenschirme, die Plastikstühle von Coca-Cola und die Langnesewimpel? Worin besteht der Unterschied zu den faden Brot- und Spiele-Spektakel, mit denen die Ossis abgefüllt werden?

Die Menschen sind es«, versuche ich mich zu beruhigen, diese liebenswerte, berühmt-berüchtigte Kreuzberger Mischung«. Doch dieser Mythos ist so krank wie die halbtoten Fixer, die mir sehr lebendig alle halbe Jahre das Fahrrad klauen. Er ist so krank wie die Bettler an jeder Ecke, bei jeder Gelegenheit, wie die nicht einmal 15jährigen, die öffentlich fixen, schnüffeln, huren. So viele junge Menschen und so viele kranke aufgeschwemmte erdgleich asphaltgraue Gesichter. Die Kreuzberger Version des Adornoschen Verdikts »der Mimikry mit dem Anorganischen«. Längst hat in der Konkurrenz der Lebensformen das Faustrecht der Kaputtheit darwinistisch gesiegt. Was bleibt, ist der leere Raum, in dem erst Spekulanten und zerstörende Politik leichtes Spiel haben können.

Was soll dieses immerwährende Getrommel: auf der Bühne, in ungezählten Platzecken? Seit Jahren nichts mehr als dieses Getrommel. Alle gute »Blasmusik« scheint sich in gutgestylten Wohnstuben des Kreuzberger Establishments wohltemperiert zurückgezogen zu haben. Das Getrommel als zentrale musikalische Darbietungsform des Festes, das viele auch sonst von irgendeiner der Wagenburgen etwa als vielfaches Echo des eigenen Herztones beim Einschlafen heimsucht, war noch vor wenigen Jahren die in zwiespältiger Tradition stehende, trostlose Einstimmung auf die Randale, die lustvolle Zerstörung des eigenen Stadtteils. Aber selbst diese merkwürdige Form des Ausdrucks scheint verloren, und es bleibt nur das Trommeln, nur der fade-ekstatischen Trance wegen, nicht mehr zum Aufwachen oder gar Aufstehen.

Wo nichts anderes als Sprachlosigkeit auf diesem Fest seinen Ausdruck findet, kommt nichts zur Sprache. Doch die Konflikte sind allgegenwärtig. In der Dämmerung muß man Obacht geben, nicht über sie zu stolpern oder in sie zu treten. Das ist in pervertierter Form die Schizophrenie des Unter-den-Teppich-kehrens, die viele einst und immer noch nach Kreuzberg trieb. Solche Sprachlosigkeit wird zur Stunde der Sekten.

Einer solchen gelingt es gar auf dem Mariannenplatz, zum Gesprächsthema Nummer eins zu werden. Der kahlgeschorene Guru, der gekonnt mit Blickfick operiert, hat zu seiner Seite fünf Frauen, die sich mit ihrer dirndlartigen Kluft und ihren streng nach hinten gekämmten und geflochtenen Haaren noch oder wieder für den Herrn aufzusparen scheinen. Sie inszenieren eine höchstbrave Geschlechtertrennung und erfüllen heimliche Sehnsüchte. Unvergeßlich bleibt ein heimlicher Höhepunkt des Festes, als ein recht fertiger Wagenburgtyp sich zu den Erlösten niederläßt und in unglaublich origineller Weise ihr Liebesgesäusel karikiert. Ihm gelingt es, suchende Flaneure anzuziehen: daß es für kurze Zeit zu einem wirklichen Fest kommt.

Die Kreuzberger feiern ihr lustloses Spektakel, als stände dreißig Meter weiter noch die Mauer. Die Kreuzberger bleiben auf ihren Festen ungemischt, wie braves westdeutsches Wohlstandsspießertum, wo man auf die multikulturelle Mischung sonst so endlos stolz ist. Viele sind längst ins Exil gegangen in den letzten Jahren, zum Prenzlauer Berg oder träumen von Buckow oder Trepnitz. Nach all den fernen Trips nach innen oder außen sind die nahen -ows oder -itze der neueste Schrei, die Geheimtips mit exotischem appeal. »Wer jetzt kein Haus hat, kauft sich keins mehr, ... wird lange Kreuzberger Nächte objektlos treiben...«

Für Kreuzberg selbst keine Vision? Von Kreuzberg aus keine Vision? Überall in Deutschland, und also auch hier dieselbe Gleichschaltung auf Utopieverzicht und Erfahrungslosigkeit?

Da scheint keine Kraft zu sein, keine Zeit, kein Mut. Da fehlen im drallvollen Gewimmel die Menschen, die auf dem großen Mariannenplatz ein Zelt aufschlagen, um einen Ratschlag über Kreuzberg mit dem Feiern zu verbinden. Thema: Sprechen, erzählen über den Alltag in Kreuzberg, das tägliche Überleben, mit den kleinen Geschichten müßte es beginnen. Doch der Macht der Sprache scheint hier keiner mehr zu trauen. Der Jongleur macht einen genauso autistischen Eindruck wie der, der leise seine Gitarre klassisch zupft. Auf seine Kunst hin angesprochen, macht er einen derart verschreckten Eindruck, daß die Zumutung sofort unterlassen bleibt. Die öffentliche Sprache hat man den Bettlern überlassen und den Schlagstöcken. Keiner macht öffentlich Liebe! Kreuzberg ist prüde!

Armes Kreuzberger Baby! Wann wirst du endlich mal wieder erwachsen? Wann verabschiedest du dich von deinen infantilen Träumen und antiquierten Fixierungen? Ohne Mauer stehst du mit dem Rücken an der Wand! Fresse weiter, saufe oder fixe nur so weiter und übertrommel das Trommeln in der Nacht. Aber wehe, es bräche ab. Erst dann wäre der Raum für den utopischen Bodensatz für ein freies, auch vom Geist dieses Stadtteils inspiriertes Berlin und Aussicht auf Rettung. Was bleibt:

die tägliche Selbstzerstörung, in der jeder allein in seinem Spleen seines Lebens nicht mehr sicher ist. Ab und an eruptive Ausbrüche in überschaubaren und bewährten schwarz- weiß-Malereien. Da kann einem die Polizei leid tun. Wo Augen und Ohren sich abschotten, Münder sich zustopfen, Köpfe sich zudröhnen, müssen sie die Köpfe hinhalten. Denn politische Lösungen wird dieser Bezirk kaum noch zustande bringen.

Als ich nach Hause gehe, höre ich vor mir einen noch recht jungen Mann klagen. Trotz seines Trunkenseins ist die Lage recht klar. »Nirgendwohin könnte man gehen.« Kein Ort, Kreuzberg, kein Ort nirgends. Als Wilmersdorfer Witwe wäre der Fall klar und das Gespött gewiß. Der Mann sprach mit seinem Hund.

Das ist es, das Kreuzberger Hundeleben. Jonny Mauser

LeserInnen sind herzlich zur Stellungnahme aufgefordert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen