Ein bittendes Paar Hände

■ Über ein Essaybändchen von William H. Gass

Die von William H. Gass ist eine der ruhigeren Stimmen, die aus dem oft wirren, unübersichtlichen und jedenfalls unerschöpflichen Reservoir der amerikanischen Gegenwartsliteratur zu uns dringen, ein wunderbarer starker Erzähler — wovon man sich bei der Lektüre seiner Geschichte Pedersens Kind (dieses Frühjahr im Residenz Verlag erschienen) überzeugen kann.

Der Literaturverlag Droschl, Graz, hat nach Suhrkamp und Residenz nun den Kampf um das absolut dünnste Buch aufgenommen und zu diesem Zweck eine Essay-Reihe begründet, als deren Herausgeber Walter Grond fungiert. Im Band 1 dieser Reihe finden sich nun zwei Essays von Gass: „Mit sich selber reden“ und „Für sich selber lesen“; beide übersetzt von Wilfried Prantner.

Da spricht ein gebildeter älterer Herr aus Amerika zu uns, der schon länger einen ziemlich beschaulichen amerikanischen Uni-Job zu haben scheint, plaudert vielmehr, gebildet (sehr gebildet) über das, was er sich so denkt zum Reden, zum Lesen, zu Sprache und Wort und Literatur. Er hat einige schöne und originelle Gedanken und Einfälle; und natürlich vertritt er seine Firma, das heißt den Primat des Wortes vor anderen Bewußtseins-Formen, den Primat der Literatur vor anderen Kunst-Formen. Dabei kommt er leider um einige Gassenhauer des Kulturpessimismus wie das Fernsehen nicht herum, das immer lügt, oder die alltägliche Umgangssprache, die uns in der Banalität festhält, wenn wir uns nicht aufmachen, unsere wahre Seele, unsere Authentizität aus dem Schutt zu graben: „Laufen Sie also meinetwegen herum, ohne sich umzuschreiben. Leben Sie von Satzfetzen und Silbensalat, von Telegrammatik und Filmkritiken. Es wird keiner was ahnen... bis Sie zu sprechen beginnen und Ihre Seele aus Ihrem Mund fällt wie eine Dose Popcorn von einem Regal.“

Unweigerlich kommen wir so zur höchsten Form der Literatur, der Poesie. An einem unverständlichen Satz von Gertrude Stein werden ein paar strukturalistische Proben herunterexerziert, um uns von dessen Qualität zu überzeugen. Nur ist es mit der Poesie halt so wie mit Gott, man muß dran glauben.

Ich meine das gar nicht abfällig, will nur andeuten, daß die Stärke von Gass gewiß mehr im Erzählen als im Räsonnieren liegt — soweit man nach zwei Texten, die in einer anständigen Zeitung gerade zwei, drei Seiten gefüllt hätten, so etwas beurteilen kann.

Bevor das „Buch“ nach einem Stündchen der beschaulichen Lektüre schon wieder endet, stoßen wir auf das Bekenntnis eines Menschen, der Bücher wirklich liebt: „Auch Bücher müssen atmen. Man sollte sie richtig öffnen, in der Hand wiegen, durchschnellen. Ihre Deckel falten sich auf wie ein bittendes Paar Hände. Das Papier, der Druck, das Layout sollten gewürdigt werden...“ Diese Droschls in Graz, die dieses Buch gemacht haben, haben sich das leider gar nicht zu Herzen genommen. Das Bändchen strotzt nicht nur von Schreib- und Satzfehlern, auch das Schriftbild gäbe Anlaß, tatsächlich und endgültig dem Kulturpessimismus zu verfallen unter der düsteren Schlagzeile: „Die verderblichen Folgen des Desktop Publishing.“ Die Schrift ist eine patzige, todschiache Times 12 Punkt, das was einem, wenn man das Standard-Satzprogramm das erste Mal anwirft, als erstes unterkommt, es hapert mit Anführungszeichen, Einzügen nach Leerzeilen, von der mutterseelenallein auf Seite 56 oben geparkten Halbzeile zu schweigen, etwas, das in der Sprache der Setzer „Hurenkind“ heißt und in einem anständigen Buch also nicht vorkommen sollte.

Ich weiß auch nicht recht, wie man einen Verlag definitiv daran hindern kann, Bücher, die er genausogut schön machen könnte, häßlich zu machen. Vielleicht wäre brutales Zurückstufen auf der Skala der österreichischen Verlagsförderung ein probates Mittel. Walter Klier

W.H. Gass: Mit sich selber reden/ Für sich selber lesen , aus dem Amerikanischen von Wilfried Prantner, Droschl Verlag, Graz 1991, 58 S., 15 DM