: ISTRIEN WARTET AUF TOURISTEN
■ Der Krieg in Kroatien bescherte der istrischen Halbinsel einen Rückgang des Tourismus um 75 Prozent, obwohl sie von den Kämpfen direkt nie betroffen war. ...
Der Krieg in Kroatien bescherte der istrischen Halbinsel einen Rückgang des Tourismus um 75 Prozent, obwohl sie von den Kämpfen direkt nie betroffen war. Nicht zuletzt aufgrund der gesunkenen Preise erwarten Tourismusmanager den Aufschwung in der Sommersaison
VONBEATESEEL
Die Kulisse könnte aus einem jener Prospekte stammen, mit denen in Reisebüros für einen Traumurlaub geworben wird. Das klare, grün bis tiefblau schimmernde Wasser der Adria lockt zum Schwimmen und Wassersport, die weißen Felsen der unzähligen Inseln, die uralten Pinien, Kiefern, Zedern laden zum Spaziergang oder Verweilen im Schatten ein, die kleinen, auf den Landzungen kauernden Städtchen mit ihren Campanili, venezianischen Fassaden, engen, holprigen Gäßchen zum nachmittäglichen Bummel. Doch die großen Hotelkomplexe mit ihren 600, 800, 1.500 Betten sind so gut wie leer, Campingplätze, Schwimmbäder und Sportanlagen fast ausgestorben, und in den Straßen von Umag, Rovinj, Pula oder Porec fehlt jenes quirlige Leben, das man mit dem italienischen Flair assoziiert. Die Besitzer von Restaurants, kleinen Filigran- und Ledergeschäften warten auf bessere Zeiten, in denen mit den Touristen auch das Geld wiederkommt.
Die gedrückte Ruhe, die über allem liegt, hängt nicht nur mit der Vorsaison zusammen. Wir befinden uns in Istrien, jener ehemals italienischen Halbinsel südlich von Triest, deren größter Teil heute zu Kroatien gehört. Die Berichte über den Krieg haben im vergangenen Jahr die Urlauber abgeschreckt, obwohl Istrien selbst von den Kämpfen nicht betroffen war. Neben der dalmatischen Küste war Istrien schon immer ein Schwerpunkt des Tourismus in Kroatien, 40 Prozent des gesamten Potentials befinden sich hier.
„Alles ist bereit. Wir brauchen jetzt einfach nur die Gäste, sonst nichts“, sagt Ivor Soric vom Tourismusverband Rovinj und zugleich Generaldirektor von Jadran Tourist, des größten Unternehmens der Branche in Istrien. Die Zahlen, die er nennt, sind deutlich genug: Im Vergleich zu 1990 — damals verbrachten über 2 Millionen ihren Urlaub in Istrien, was einer Übernachtungszahl von 19 Millionen entspricht — sind die Zahlen der Besucher im Vorjahr auf drastische 25 Prozent gesunken. Für dieses Jahr hofft er auf eine vierzigprozentige Auslastung der „Kapazitäten“. Vielleicht gehen seine Hoffnungen sogar in Erfüllung: In der dritten Maiwoche, also noch vor Beginn der Hauptsaison Anfang Juli, hielten sich 9.800 ausländische TouristInnen auf der Halbinsel auf — das entspricht einer Auslastung von 25 bis 30 Prozent.
„Wir haben erst 1991 richtig gemerkt, was der Tourismus für unsere Region bedeutet“, sagt Davorin Flego, der Oberbürgermeister von Rovinj, und fügt hinzu: „Es gibt kein Marketing für Tourismus in Kriegsgebieten, das paßt schlecht zusammen.“ Der Krieg im benachbarten Bosnien-Herzegowina muß da für die Tourismusmanager und ihre Hoffnungen ein rechter Wermutstropfen sein. „Die Leute denken noch in den alten Grenzen des ehemaligen Jugoslawien“, sagt der Vertreter von Bemex Tours, einem Kroatien-Reiseveranstalter.
Doch für Soric, Flego und all die anderen Gesprächspartner aus Politik und Tourismus ist der Krieg schon vorbei. Ihre Botschaft an die JournalistInnen: „Hier gibt es etwas zu berichten: daß ganz Istrien vom Krieg nicht betroffen ist.“ (Flego) Ihre ganze, fast irrational anmutende Hoffnung richtet sich auf die in Kraotien stationierten UNO-Truppen. Während also allabendlich im Fernsehen über Waffenstillstandsverletzungen in Kroatien berichtet wird und dramatische Szenen über den Krieg in Bosnien-Herzegowina über den Bildschirm flimmern, kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, die Hauptstadt Zagreb sei, von Istrien aus gesehen, weit weg und Bosnien-Herzegowina schon fast hinter dem Mond.
Es war auch die kroatische Regierung in Zagreb, die vorsichtshalber verfügte, daß alle Baudenkmäler vor einem eventuellen Angriff geschützt werden müssen. So wurden beispielsweise in Pula an der Südspitze Istriens das römische Stadttor und der Triumphbogen mit Holz verschalt und Sandsäcken geschützt, sehr zum Mißfallen der Stadtväter. Der ungeliebte Beschluß aus Zagreb wurde zwar mittlerweile wieder aufgehoben, doch noch sind nicht alle Verschalungen wieder abmontiert.
Auch die restlichen Flüchtlinge vom vergangenen Jahr möchte man so schnell wie möglich wieder loswerden — geschweige denn neue aufnehmen: In Rovinj beispielsweise waren Anfang Dezember 4.500 Menschen gestrandet, im Frühjahr waren es noch 1.600. Es ist fast unangenehm, mit welchem Nachdruck die Tourismusmanager immer wieder beteuern, daß in den touristischen Zentren keine Flüchtlinge mehr untergebracht seien und daß diese von Hilfsorganisationen versorgt würden. Die Botschaft ist klar: Die Besucher brauchen keine Angst zu haben, mit ihnen in Berührung zu kommen — so, als litten sie allesamt an einer ansteckenden Krankheit.
Gelegentlich trifft man doch auf Flüchtlinge, die jetzt in kleinen Hotels oder auch staatlichen Einrichtungen untergebracht sind. Hin und wieder sieht man auch Soldaten in gefleckten Kampfanzügen, die sich in einer Bar vollaufen lassen, und auch für Barbie-Puppen gibt es im Supermarkt das entsprechende kriegerische Outfit. Sonst erinnert in der Tat nicht viel an den Krieg.
Landstrich mit multikulturellem Erbe
Sicher, es gibt auch Probleme im Zusammenleben: serbische Kinder, die nicht mehr mit kroatischen spielen dürfen und umgekehrt. Doch im großen und ganzen, so scheint es, hat der Krieg nicht zu tiefen Rissen in der Bevölkerung geführt. Zumal ein Teil der Serben nicht ganz freiwillig in Istrien war: Die Soldaten der ehemaligen Bundesarmee, die zu achtzig Prozent aus Serben besteht, sind mit ihren Familien inzwischen abgezogen. In Pula beispielsweise, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern, leben jetzt noch 12 Prozent Serben (dies entspricht dem generellen Anteil in Kroatien), 7 Prozent Italiener, kleinere Gruppen von Albanern und Muslimanen, und sieben Kilometer weiter gibt es ein montenegrinisches Dorf. Die Vorfahren der heutigen Einwohner sind vor der osmanischen Invasion im 14. Jahrhundert geflohen. „Wir waren immer eine multikulturelle Stadt und wollen es auch bleiben“, sagt der Vizebürgermeister mit dem italienischen Namen Mario Quaranta. Ein wohltuender Unterschied zu den ideologischen Ausführungen über den „serbisch- kommunistischen Sozialklerikalfaschismus“, die man anderswo zu hören bekommt.
Direkte und spürbare Auswirkungen hat der Krieg vor allem im ökonomischen Bereich. Die Löhne sind drastisch gesunken und oft auf weniger als ein Drittel zusammengeschrumpft. Kein Wunder, daß da auch die Preise in den Keller fallen, um die ausbleibenden TouristInnen zurückzulocken. Zimmer in Privatquartieren gibt es, je nach Ansprüchen und Komfort, bereits ab umgerechnet 8 DM, mit eigener Dusche für 19 DM. Wer sich in einer Bettenburg mit fünfgängigen Menüs verwöhnen lassen will, muß mehr hinblättern. Dort kostet ein Doppelzimmer in der Hauptsaison zwischen 100 und 200 DM. Im Moment werben die Reiseveranstalter noch mit günstigen Pauschalangeboten. Auch ein Besuch im Restaurant ist, für hiesige Verhältnisse, ausgesprochen preiswert. Bleifreies Benzin ist an jeder zweiten Tankstelle zu haben und kostet umgerechnet etwa 1,10 DM. Bezahlt wird mit dem kroatischen Dinar, einer Couponwährung, bis es wieder „richtiges“ Geld gibt.
Kein Wunder, daß die Regierung in Zagreb große Erwartungen in Istrien setzt, wo sich 40 Prozent des kroatischen „Tourismuspotentials“ befinden. Istrien, so die Hoffnung, soll eine Vorreiterrolle bei der Wiederankurbelung des kroatischen Tourismus spielen. Geld dafür gibt es aus der Hauptstadt allerdings kaum. Vertreter der lokalen Tourismusbranche betonen jedoch, daß man die Probleme durchaus auch alleine lösen könne. Zagreb ist eben weit weg. Und die neue internationale Grenze, die die Halbinsel im Norden in einen slowenischen und einen kroatischen Teil zerschneidet, ist nicht eben populär. Im geteilten Istrien jedenfalls dürften künftig regionale Parteien eine wichtige Rolle spielen.
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