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Umweltdreck fördert Wirtschaftsboom

Eine auf dem Rio-Gipfel veröffentlichte Weltbank preist den lukrativen Markt der Schadstoffkontrolle, Müllentsorgung und Abwasserreinigung/ Japan jagt den USA die Märkte ab  ■ Aus Rio Astrid Prange

Der Startschuß zur lukrativen „ökologischen Revolution“ ist gefallen. Während Delegierte und Politiker aus aller Welt auf der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio noch an der Klimakonvention feilten und sich über die Grundsatzerklärung zur nachhaltigen Nutzung von Wäldern stritten, entbrannte hinter den Kulissen bereits der Kampf um die Marktanteile der Wachstumsbranche der Zukunft: umweltfreundliche Produkte und Technologien.

„Ökobusiness is Big Business“, so lautet das Ergebnis einer in Rio vorgestellten Studie der „International Finance Corporation“ (ICF) unter dem Titel „Investing in the Environment“. Die ICF, eine zur Weltbank gehörende Finanzorganisation, die Kredite an die Privatindustrie in Entwicklungsländern vergibt, geht davon aus, daß der weltweite Umsatz von Naturprodukten und Dienstleistungen im Umweltbereich in den nächsten acht Jahren von 300 Milliarden Dollar auf 600 Milliarden Dollar ansteigen wird. In den Entwicklungsländern sei mit jährlichen Zuwachsraten von fünf bis 25 Prozent zu rechnen.

Die Feldstudien in den neun Ländern Polen, Mexiko, Thailand, Malaysia, Indonesien, Chile, Ungarn, Türkei und Pakistan brachten die Verfasser zu der Erkenntnis, daß die unkontrollierte Verstädterung und Industrialisierung in den Entwicklungs- und Schwellenländern stets zu den gleichen Umweltbelastungen führen. Industrie- und Haushaltsabwässer werden unzureichend behandelt, Giftmüll und Haushaltsabfälle kaum entsorgt, Deponien fehlen, die Luft wird durch Auto- und Industrieabgase verschmutzt und die Grundwasserversorgung gefährdet.

Für die mit dem Aufstieg in die moderne Industriegesellschaft verbundenen Unzulänglichkeiten hält die IFC Lösungen bereit: Die Länder bräuchten zum Beispiel moderne Kläranlagen, Filter und Meßgeräte, um die Umweltverschmutzung zu kontrollieren. Bis zum Jahr 2000, so schätzen die Verfasser der Studie, werde der Bedarf für Dienstleistungen und technische Ausrüstung im Bereich Umweltschutz zum Beispiel in Thailand auf 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr anwachsen. Allein die Entscheidung der Stadtverwaltung von Bangkok, in nächster Zukunft ein Kanalisationssystem zu verlegen und Kläranlagen zu errichten, bedeute einen enormen Investitionsbedarf. In Malaysia wird die öffentliche und private Nachfrage im Umweltbereich auf 210 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt, mit Wachstumsraten bis zu 25 Prozent.

„Der Mangel an öffentlichen Geldern in den Entwicklungsländern eröffnet dem privaten Sektor in den Bereichen Abwasserbehandlung und Müllentsorgung, die traditionell zu den Aufgaben der öffentlichen Hand gehören, neue Möglichkeiten“, heißt es in der Studie. Die Privatisierungspläne in Mexiko, Polen, Ungarn und Malaysia würden auf lange Sicht Absatzchancen steigern, da die Modernisierung von Fabriken den Wettbewerb um saubere Technologien anheize.

Besonders die Japaner setzen auf die neue Ära des „nachhaltigen Wachstums“, die UNCED-Generalsekretär Maurice Strong während des Gipfels in Rio einläutete. Die Delegation des Inselstaates mit ihren 770 Mitgliedern übertrifft die amerikanische Abordnung um das 16fache. Al Gore, demokratischer US- Senator, befürchtet, daß die USA am weltweiten Recycling der Wirtschaft nur als Zuschauer teilnehmen: „Die USA werden Arbeitsplätze verlieren, wenn sie sich nicht darauf vorbereiten, die ökologische Revolution mit anzuführen. Japan und Deutschland haben sich schon darauf eingestellt, daß Umwelttechnologien die größte Wachstumsbranche der Zukunft sind.“

Diese Erkenntnis, so räumt die Studie ein, sei in erster Linie der Aufklärungsarbeit von Umweltschützern zu verdanken. „Der öffentliche Druck nimmt zu, und mit ihm auch die Bereitschaft, für die zusätzlichen Kosten des Umweltschutzes aufzukommen,“ konstatiert die ICF. Der dezente Flirt der Weltbank-Institution mit den Umweltschutzverbänden ist von einigen Unternehmern bereits als gewinnbringend erkannt worden. Große Firmen wie der brasilianische Mineralölkonzern Petrobras, die Zellulosefabrik Aracruz sowie der von dem Schweizer Großindustriellen Stephan Schmidheiny angeführte Unternehmerverband „Business Council for sustainable development“ (BCSD) waren auf dem alternativen Umweltgipfel „Global Forum“ in Rio mit einem Stand vertreten.

Die Begeisterung der IFC für strenge Umweltgesetze teilt die Mehrheit der Unternehmer jedoch nicht. Auf einem Treffen im Vorfeld der UNCED in Rio warnten die 48 Mitglieder des BCSD die Politiker vor „gesetzlichen Regelungen, zusätzlichen Steuern, Zwang zum Technologietransfer und grünem Protektionismus“ (die taz berichtete). Ansonsten sind sich Weltbank und Industrievertreter völlig darüber einig, daß wirkungsvoller Umweltschutz nur auf der Grundlage wirtschaftlichen Wachstums möglich ist. Nach der in Rio verkündeten „ökologischen Revolution“ lassen sogar wachsende Müllhalden die Herzen der Unternehmer schneller schlagen: „Je mehr der Müll in den Entwicklungsländern zunimmt und die öffentliche Verwaltung überfordert, desto mehr Möglichkeiten eröffnen sich dem Privatsektor“, prophezeit die ICF-Studie.

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