: Ein Asphalt-Cowboy dreht durch
■ Der passionierte Autofahrer Krause plant den Aus- oder Neubau von 11.600 Kilometern Betonpiste. Im Westen will er längst totgesagte Projekte verwirklichen, im Osten seine Lieblingstrasse von Lübeck über...
Ein Asphalt-Cowboy dreht durch Der passionierte Autofahrer Krause plant den Aus- oder Neubau von 11.600 Kilometern Betonpiste. Im Westen will er längst totgesagte Projekte verwirklichen, im Osten seine Lieblingstrasse von Lübeck über Rostock nach Stettin — quer durch ein Naturschutzgebiet.
Es geht ein leichter Wind. Schwarz und schmal führt die Dorfstraße durch Lübsee. Hinter der Hecke, die das Pfarrhaus verdeckt, lacht jemand. Die Sonne wärmt die alte Backsteinkirche. Beim Friedhof öffnet sich die weite, wie Wasser bewegte Landschaft Mecklenburgs. Östlich und westlich im Weizenfeld, das sich bis an den Horizont streckt, stecken Pfähle mit roten Enden. Die Pfähle zeigen, wo die Autobahn gebaut wird. Lübsee ist dann nur noch ein Lidschlag zwischen Lübeck und Stettin.
Einmal durchs Dorf, das ist: Friedhof und Kirche, eine Bauernkate, die ehemalige Büdnerei. Die frühere Kneipe, schräg gegenüber das Pfarrhaus, eine Scheune und Schluß. Zwölf Menschen leben in Lübsee. „Hier ist keiner, der Widerstand leisten kann“, sagt der Pfarrer. Bernhard Kränz sitzt mit verschränkten Armen da. Seine Beine aber wippen nervös und verraten Hochspannung. Die Autobahn wird das Pfarrland durchschneiden, nur knapp 200 Meter von der Kirche entfernt. Mit unendlicher Mühe hat Kränz in dieser Kirche mittelalterliche Fresken restaurieren lassen. Sie erzählen von Drachen und Teufeln und von der Vertreibung aus dem Paradies.
Kränz kennt die Gründe für die Ostseeautobahn, die sich auf 300 Kilometern quer durch Mecklenburg- Vorpommern bis nach Polen ziehen wird: die Infrastruktur, die Arbeitslosigkeit, die Dauerstaus auf den Bundesstraßen nach Wismar, Schwerin, Rostock. Aber er hat fast 30 Jahre angearbeitet gegen den Verfall eines Dorfes — und nun soll alles ganz schnell gehen? Es ist ja nicht nur die Kirche. Es sind die Frühlingskonzerte hier unter der Linde im Pfarrgarten, es ist die Stille, die Luft, die nicht nach Abgasen schmeckt, und es ist die noch verschonte Gegend, „diese herrliche Endmoränenlandschaft, die sie zerschneiden werden. Alles vorbei, und daß wir die Kraniche rufen hören, das auch.“
Der Lübseer Pfarrer hat in Briefen an den Bundesverkehrsminister, ans Land protestiert. Er bekam nichtssagende Antworten. An die Landeskirchenleitung ist man wegen des Grundstückverkaufs noch nicht herangetreten. Westdeutsche UmweltschützerInnen mahnen den Pastor zur Eile — und zur Aktion. Denn das 60 Hektar umfassende Pfarrland liegt auf dem Abschnitt der Trasse, der zuerst gebaut werden soll: zwischen Rehna und Neukloster. Ein Künstler aus Hamburg will Kränz einen Riesenluftballon an den Kirchturm binden, die Glocken soll der Pfarrer läuten, im Talar vor der Kirche gegen die Autobahn wettern und sich dabei filmen lassen. Das wird Bernhard Kränz nicht tun.
Die Westdeutschen, die das gut 30 Kilometer östlich von Lübeck gelegene Lübsee nun öfter besuchen und — nachdem sie den eigenen Motor ausgestellt haben — die Abwesenheit unnatürlicher Geräusche rühmen, fragt der Pfarrer statt dessen, ob sie eine angenehme Fahrt gehabt hätten auf der Autobahn, über die sie doch wohl gekommen seien? Denn Kränz ist Mecklenburger, und ihm ist keineswegs entgangen, daß seine tendenziell deprimierten Landsleute die Autobahn unbedingt haben wollen. Das müssen, meint er, die NaturschützerInnen aus dem Westen begreifen. Für Aktionen fehlt die Basis.
Am westlichen Ende der geplanten Ostseeautobahn dagegen kocht eine Gemeinde vor Zorn: Groß-Grönau, zwischen Lübeck und dem Ratzeburger See. Kein Schritt ohne Protestschild, so daß die kleine Minderheit der AutobahnbefürworterInnen, die es auch gibt, schon über die „Massenkonfektion“ herzieht. Die A20 würde Groß-Grönau entweder in der Mitte durchschneiden, oder die Trasse würde südlich des Ortes das Grönau-Tal in eine Betonwanne verwandeln und die Ländereien des Guts Tüschenbek wegfressen, bevor sie in die Wakenitzniederung einbrechen würde. An den Tunnel, mit dem die A20 angeblich unter der Wakenitz durchgeführt werden soll, um dieses reiche Feuchtgebiet zu verschonen, glaubt in Groß-Grönau niemand. „Das würde viel zu teuer“, sagt die Biologin Adelheid Winking vom „Gesamtbündnis Keine Ostseeautobahn“.
In Groß-Grönau ist Lübsee nur ein Traum. Stille kennt dieser Ort nicht, in dem gut verdienene LübeckerInnen — die alle mit dem Auto zur Arbeit fahren — ihre Häuser ins Grüne gebaut haben. Die einstige Dorfstraße von Grönau heißt heute Bundesstraße 207, ein lärmendes, stinkendes Band von 12.000 Fahrzeugen pro Tag. Noch auf der etwas entfernt liegenden Terrasse der Winkings ist der Krach zu hören. Einen halben Kilometer in die andere Richtung würde die sogenannte Südtrasse der A20 verlaufen — also südlich um Lübeck herum — die das schleswig- holsteinische Verkehrsministerium derzeit favorisiert. „Es reicht einfach“, sagt Adelheid Winking, „es reicht.“
Aus der SPD ist sie wieder ausgetreten, und ihre BesucherInnen führt sie an die Wakenitz, wo der Kieler Umweltminister, Berndt Heydemann, Schilder hat aufstellen lassen: „Geplantes Naturschutzgebiet: Wichtiger Lebensraum für bedrohte Pflanzen und Tiere. Veränderungen... sind daher unzulässig“. Hier würde die Autobahn verlaufen — die auch Heydemann befürwortet und die er mit Ausgleichsmaßnahmen zu einer „Ökoautobahn“ machen will. Die ausgedehnten Erlenbruchwälder, die Röhrichte, die letzten Eisvogelpaare, der Fischotter oder die gebänderte Prachtlibelle, meint Adelheid Winking, würden auch die „Ökoautobahn“ nicht überleben.
Im Lübecker Raum ist der Widerstand gegen die A20 sehr stark und reicht, wenngleich Industrie, Handel und Gewerkschaften dafür sind, in unübliche Kreise wie den „Bund Junger Unternehmer“. Doch SPD-Landesregierung und die Stadt Lübeck wollen im Auftrag von Verkehrsminister Krause die Planung der „Baltischen Magistrale“ (Engholm) durchziehen: von der Anbindung an die A1 bis zum Anschluß Rehna. Ab dort ist das Wirtschaftsministerium in Schwerin für die bisher mit drei Milliarden Mark zu niedrig veranschlagte Trasse zuständig, die kurz vor der polnischen Grenze auf die A11 treffen soll.
„Die planen mit echten Notstandsgesetzen“, sagt Groß-Grönaus CDU-Bürgermeister Hans-Georg Weißkichel. Dem erfolgreichen Staatsanwalt für organisierte Kriminalität „dreht sich der Magen um: Die planen erst und machen dann das Gesetz.“ Die A20 soll mit Hilfe des — noch nicht verabschiedeten — Investitionsmaßnahmegesetzes durch den Bundestag geprügelt werden: „Die haben's eilig, weil sie wissen, daß sie so ein Ding in fünf Jahren nicht mehr durchkriegen.“ 200.000 Mark darf der Grönauer Bürgermeister für Proteste und Klagen ausgeben. Die Stadt steht hinter ihm. Er beschäftigt einen Rechtsanwalt und ist entschlossen, zu verfahren wie bei einem Verhör: Kein Rechtsverstoß der Autobahnbauer wird ihm entgehen.
Mit einer differenzierten Studie hat Greenpeace Krauses Hauptargument entkräftet, die A20 bringe den wirtschaftlichen Aufschwung für Mecklenburg-Vorpommern. Die Ostseeautobahn, zeigt Greenpeace, ziehe lediglich wie ein Staubsauger den Transitverkehr nach Polen und in die baltischen Staaten an. Derselbe Staubsaugereffekt werde Ostarbeitskräfte in den Lübecker und Hamburger Raum pusten und die mecklenburgische Wirtschaft vor sich hin kümmern lassen. Die A20 bringe in erster Linie dem Westen Standortvorteile: nämlich ein größeres Hinterland. Mecklenburg-Vorpommern könne nur durch zielgerichteten Regionalstraßenbau wirtschaftlich und touristisch erschlossen werden. Für den Transitverkehr, speziell den Güterverkehr müsse die Bahn ausgebaut werden. Der Naturschutzverband wies nach, daß in dem 100.000 Mark teuren Gutachten, mit dem Krause den Bedarf für die A20 nachweisen wollte, die Autoverkehrsprognosen wissentlich hoch-gerechnet wurden, teilweise um das Doppelte.
Wie alle engagierten UmweltschützerInnen ist auch Adelheid Winking längst ein Profi. Sie kennt sämtliche Gutachten für und gegen die A20, sie hantiert mit Verkehrszahlen, entlarvt Ungereimtheiten und beschreibt Rote-Liste-Arten, als würde sie dafür bezahlt. Doch den Impuls für ihren Kampf gegen die A20 — übrigens schon, bevor die Trasse an ihrer Terrasse entlang geplant wurde — gaben weniger die guten Argumente gegen diese Autobahn als jenes tief empfundene: „Es reicht! — Sowas wie hier“, sagt sie, und stapft in Sandalen im „geplanten Naturschutzgebiet“ am Wakenitzufer lang, „darf nicht auch noch kaputt gemacht werden“. Doch die kürzeste Strecke der A20 wird im Westen gebaut. Dramatisch ist deshalb für Winking, daß die MecklenburgerInnen in puncto Autobahn ganz gegenteilige Gefühle hegen.
Verzweifelt suchen die Groß- GrönauerInnen OstautobahngegnerInnen, die sich ihrer „Interessengemeinschaft Sperrgrundstücke A20“ anschließen, um als LandeigentümerInnen gegen die Trasse in West und Ost klagen zu können. „Wir finden keine“, seufzt Adelheid Winking. Auch der Pfarrer in Lübsee kann sich nicht entschließen. Und wo immer man den Pfählen mit den roten Enden folgt, statt derer sich schon bald eine dreißig Meter breite Betonpiste durch Mecklenburg ziehen soll, ob zwischen Jeese und Pieverstorf, ob in der Kreisstadt Grevesmühlen, ob bei Upahl, am Landschloß Plüschow, in Groß Krankow, in der Gegend von Wismar oder bei Neukloster, und wen immer man auch fragt, ob Hausfrauen, GymnasiastInnen, Arbeitslose, Lastwagenfahrer oder den Landrat, die Antwort lautet stets: Ja, diese Autobahn müsse sein. Von Grevesmühlen nach Rostock brauche man neuerdings drei Stunden auf der B105, früher gut eine. So gehe es nicht weiter. Und immer mehr Leute, besonders Jugendliche, fahren jeden Tag nach Lübeck zur Arbeit. Nach acht Stunden Arbeit und zwei Stunden Stau seien die erledigt.
Wismar erhofft sich Erleichterung für die verstopfte Innenstadt, wenngleich der meiste Verkehr, wie eine Studie ergibt, hausgemacht ist. Der Kreis Grevesmühlen will sein größtes Industriegebiet in Upahl an die geplante Autobahn bauen. So oder so ähnlich geht es bis nach Polen. „Wer hier gegen die Autobahn ist“, sagt der mecklenburgisch blonde Ralf Techentin, dessen Vater im Upahler Gewerbegebiet einen Baustoffhandel aufgezogen hat, „der ist wahnsinnig.“ 1.200 Arbeitsplätze sollen in Upahl entstehen. Allein die Lübecker Großmolkerei „Hansano“ will 170 Millionen Mark in einen modernen Milchverarbeitungsbetrieb investieren.
Was indes wirklich wahnsinnig ist, erfährt man nicht an der Autobahntrasse in Upahl, sondern im nahegelegenen Diedrichshagen, wo in der Mittagssonne unter rauschenden Kastanien Peter — „der Nachname interessiert nicht“ — Milch und Joghurt vom Anhänger verkauft. Seit überall die Konsumläden zumachen, fährt er über Land. „Hansano“ war nach der Wende gleich da. Immer etwas früher als die Tankwagen der Molkerei Grevesmühlen holten die „Hansano“-Laster die LPG-Milch ab, „paar Pfennig mehr zahlten die auch. Unsere Molkerei mußte dichtmachen.“ Peter holt nun jeden Tag H-Milch aus Lübeck und steht im Stau. Die „Hansano“-Laster mit der Grevesmühlener Milch stehen auch im Stau.
In Lübeck bekommt Peter aber nicht nur Molkereiprodukte aus Grevesmühlener Milch, sondern, dank der Autobahnen, auch Joghurt aus Bayern. Den verkauft er besonders gut. Solange die Leute in Grevesmühlen Geld haben. Also muß Arbeit her. Für die arbeitslosen Melkerinnen der aufgelösten LPG zum Beispiel, die bei „Hansano“ unterkommen sollen. „Hansano“ kommt aber nur nach Upahl, wenn die Autobahn kommt. Und wenn die Autobahn erst da ist, überlegt Peter, „dann kann ich mit meiner Milch bis nach Polen fahren und da verkaufen“. Bettina Markmeyer
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