: Private Symbole
■ Die Berliner Malerin Christa Dichgans: Bilder von 1964-1991 im Haus am Waldsee
Nachdem die »Neuen Wilden« noch einmal den Anspruch auf expressive malerische Entäußerung behauptet und hoffentlich endgültig ad acta gelegt haben, gibt es für die letzte Malergeneration gegenwärtig zwei grobe Orientierungsrichtungen. Wer abstrakt malen will, versucht mit handwerklichem Können ein möglichst bedeutungsloses Design zu erreichen. Wer die Gegenständlichkeit liebt, beschäftigt sich mit der Neubelebung der Genremalerei und versucht das Historienbild oder die realistische Naturdarstellung zu »konzeptualisieren«.
Die Berliner Malerin Christa Dichgans, geboren 1940 und damit bereits einer älteren Generation zugehörig, bewegt sich jenseits dieses Koordinatennetzes. Sie hat sich ihre eigene private Symbolsprache geschaffen, die sie immer wieder neu variiert und neuerdings auch ins Medium der Skulptur übertragen hat. Der lange Weg, der zur Errichtung eines wiedererkennbaren individuellen Stils notwendig ist, läßt sich anhand der umfangreichen Retropsektive im Haus am Waldsee nachvollziehen. Dort werden über 70 mittel- und großformatige Bilder aus den Jahren von 1964-1991 gezeigt. Ergänzend sind in der Galerie Springer neuere Gouachen und Radierungen zu sehen.
Nach Beendigung des Studiums an der HdK 1965, wo Christa Dichgans noch in der typischen Berliner Realismustradition malt, führt die Begegnung mit der Pop-Art anläßlich eines New-York-Aufenthalts 1966/67 zu einer Klärung des Stils. Sie verbannt jegliche Staffage aus ihren Bildern und malt assembleartige Stilleben von Kinderspielsachen. Gummienten, Feuerwehrautos, Puppen und Teddys mit verrenkten Gliedmaßen, unter anderem Spielzeug begraben, strahlen eine beunruhigende, an Bilder Klaphecks erinnernde Wirkung aus. Aufgrund des Revivals von Neo-Dada und Neo- Pop in der New Yorker Objekt-Kunst wirken manche der Bilder witzigerweise ganz und gar heutig und vermitteln ein verdrehtes Déjà-vu-Erlebnis.
Der Durchbruch zu einer eigenen Symbolsprache gelingt Christa Dichgans in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Sie dehnt die Stilleben analog zum »Allover« des abstrakten Expressionismus über die gesamte Bildfläche aus. Es entstehen Bilder, die wie aus Illustrierten zusammengeschnittene Fotocollagen wirken. In diesen fotorealistischen Collagebildern findet sich ein Konglomerat an kleinteiligen Gegenständen von verwirrender Vielfalt, deren eigentümliche Zusammenstellung noch in den neuesten Arbeiten wiederzuentdecken ist und Dichgans' Malerei identifizierbar macht: Kinderspielzeug, Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Verkehrsmittel, Kriegsgerätschaften, technische Alltagsgegenstände wie Telefone und Fotoapparate, Malutensilien wie Pinsel und Farbtuben werden in der Fläche parallel oder konzentrisch, auf einen Horizont bezogen oder einfach völlig durcheinander angeordnet.
Wie im amerikanischen Expressionismus — beispielsweise bei Pollock, Newman oder Rothko — zielt das durch die nahtlose Aneinanderfügung der banalen Gegenstände erreichte »Allover« auf die Evokation eines Unendlichen. War dort jedoch dieser Effekt erkauft durch den Bedeutungsverlust der einzelnen Linien und Farben, die als Spur oder pure Materialität sich nur auf sich selbst beziehen durften, faszinieren die Bilder von Christa Dichgans dagegen, daß alle Elemente des Bildaufbaus einen konkreten Gegenstand bezeichnen, alles von Referentialität durchdrungen scheint. Die Farbe als Materie wird nicht thematisiert und ordnet sich völlig der Zeichnung und dem Zeichencharakter des Bildes unter.
Insbesondere das 110 x 110 cm große Bild Deutschland von 1976 erreicht mit seiner Vielfalt an Gegenständen eine exemplarische Dichte, Schäferhund und Gartenzwerg sind neben Luther, Marx, Hitler, Struwwelpeter und Rotkäppchen, Dackel und röhrenden Hirschen, Bundestag, Bierflaschen und Fleischwürsten, Duden und Aspirin, Bildern von C.D. Friedrich und Baselitz und vielem anderen mehr dargestellt: ein Panorama des Heterogenen, das die Klischeevorstellungen des »Deutschen« dennoch enzyklopädisch erfaßt.
Diese Werkphase, die in der Ausstellung noch durch die Bilder Der jüngste Tag, Himmel und Hölle, New York und Prozeß vertreten ist, konnte aufgrund der extremen und doch simplen Stilmittel nur von kurzer Dauer sein. Christa Dichgans hat sie dennoch als eine symbolische Form in ihren späteren Arbeiten, in denen sie sich wieder mehr dem Malerischen widmet, konserviert.
Die Bildserie mit dem Titel Turmbau zu Babel nimmt das Sammelsurium aus Alltagsgegenständen symbolisch auf, läßt es aus klassischen Architekturformen herauswachsen und diese schließlich sprengen. Sinnstiftung, für die Collagebilder noch einklagbar, wird nun anhand des Jahrtausendthemas der babylonischen Sprachverwirrung als für die Kunst kaum zu erreichendes Ziel problematisiert. Der Anspruch aber, solche mit den Mitteln der Malerei wenigstens anzustreben, bleibt in den Bildern von Christa Dichgans unbefragt erhalten. Die Bildserien Arche Noah, wo die symbolische Bildwelt in einem Boot vor einem undefinierbaren Farbhintergrund »gerettet« wird, oder die Serie der Wunderknäuel, in der die einzelnen Gegenstände in einem Wollknäuel wie an einem Ariadnefaden aufgereiht und eingesponnen werden, thematisieren ebenfalls das Bedürfnis nach Sinnfindung im Heterogenen und deren Unbestimmtheit.
Stilistisch gleichen diese späten Werke von Christa Dichgans — wie sollte es anders sein — der individualistisch verschlüsselten Symbolsprache der »Arte Cifra«. Die Individualität des Stils manifestiert sich weniger in der Malweise als in der Wahl und allererst der Definition ihres spezifischen Sujets. Wer immer wieder die gleichen Gegenstände auf die Leinwand bringt, kann mit der Zeit ein immanent vernetztes und expansionsfähiges Werk schaffen, das sich schließlich auch in andere Medien übertragen läßt, wie die Bronzeskulpturen von Christa Dichgans in den Ausstellungen zeigen. Sich durch solche Setzungen aus den gegebenen Kunstkoordinaten hinauszukatapultieren ist sicher möglich, ob es an der Zeit ist, ist eine andere Frage. Werner Köhler
Bis 5. Juli: Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30. Di.-So. 10-18 Uhr; bis 4. Juli: Galerie Springer, Fasanenstraße 13. Mo.-Fr. 10-19, Sa. 11-14 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen