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Belange der Flüchtlinge bleiben unbenannt

■ betr.: "Hoyerswerda auch in Mannheim?", taz vom 5.6.92

Betr.: „Hoyerswerda auch in Mannheim?“, taz vom 5.6.92

Der Artikel dient in seiner Oberflächlichkeit und seiner Selektivität vorrangig dazu, Verständnis für den „Mannheimer Mob“ zu erheischen. Über vier Spalten wird die — ach so bedauernswerte — Lage der Schönauer BürgerInnen beschrieben. Die Belange der Flüchtlinge bleiben unbenannt. Informationen, die sich auf die Flüchtlinge beziehen, beschränken sich auf die Beschreibung von Attacken, denen sie ausgesetzt sind und dem Zusatz, daß diese auf dem Gerücht basieren, daß sich unter den Flüchtlingen ein Vergewaltiger befindet. Der Mythos vom schwarzen Vergewaltiger ist kein „unerklärliches“ Gerücht, sondern existiert als Mittel rassistischer Hetze seit mehreren 100 Jahren. [...]

Die rassistische Belagerung in Schönau als Reaktion auf ein Vergewaltigungsgerücht zu bezeichnen suggeriert, daß es sich bei den BürgerInnen um aufgebrachte SexismusgegnerInnen handelt. Das sind sie nun mal überhaupt nicht. Dort werden nationalistische Besitzansprüche durchgesetzt, die neben Blut, Boden, Viertel, auch jene an Frauen miteinbeziehen. Tragischerweise sind daran Schönauer Bürgerinnen nicht zu knapp beteiligt.

Nicht differenziert wird in dem Artikel zwischen „weit Angereisten“ und „aufgebrachten BürgerInnen“, die das Flüchtlingsheim „belagern“. Bei den ersten handelt es sich um antirassistische Gruppen, die seit einer knappen Woche dort in Schönau versuchen, den Flüchtlingen ihre Solidarität entgegenzubringen und sie vor weiteren Angriffen zu schützen. Dazu sind die BürgerInnen, die laut dem Artikel in der Mehrzahl die „Vorfälle“ verurteilen und „friedlich mit den Asylbewerbern zusammen leben“ wollen offensichtlich nicht in der Lage, oder besser: Es interessiert sie einfach 'nen Scheißdreck oder bestenfalls als spannendes Ereignis, daß sich sicher hinter der Wohnzimmergardine beobachten läßt.

Der seit ein paar Tagen dort aufgefahrene Polizeischutz entpuppt sich immer mehr als einer, der sich direkt gegen die Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen richtet. Bereits vor einer Woche wurde eine Gruppe von Flüchtlingen von ihren „Beschützern“ für ein paar Tage in Polizeigewahrsam verbracht, weil ihnen vorgeworfen wurde, daß sie Schlagwerkzeuge (zu ihrem Selbstschutz) mit sich geführt hätten.

Angriffe von RassistInnen wurden in den letzten Tagen in der Form abgewehrt, daß vor dem Flüchtlingsheim zuerst die antirassistischen Gruppen weggeprügelt wurden, um anschließend die „Protestwählerschaft“ zurückzudrängen.

Die Situation in Mannheim unterscheidet sich von der in Hoyerswerda hauptsächlich dadurch, daß sie von der Öffentlichkeit totgeschwiegen wird. [...] Autonomes Frauenplenum Frankfurt am Main

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