Vom Teppich in den Himmel

■ »UMBAU« — eine Ausstellung in der Friedrichstraße 231

Mit dem UMBAU kommt die Kunst. Ein Gemisch aus Subkultur, Installationen und Malerei läßt ein ganzes Gebäude für sich neu entstehen. Vor dem Umbau kommt aber auch das Plasteschild der »Gutzeit-Hausverwaltungen«, das den Besucher am Eingang der Friedrichstraße 231 begrüßt. Bevor der Umbau dieses alten Fabrikgebäudes in Angriff genommen wird, mußte noch etwas für das eigene Image getan werden. Der Unternehmer Axel Gutzeit stellte neun Etagen 35 KünstlerInnen zur Verfügung. Vom Milieuteppich bis in den Himmel erstrecken sich die Werke Wolfgang Petricks, seiner Schüler samt Anhang, wobei der Meister für sich selbst natürlich den Himmel auserwählt hat. Daß es nun doch noch nicht so weit mit Petrick gekommen ist, beweisen seine Werke, sind sie doch ganz dem großstädtischen »Milieuteppich« verbunden.

Den Mietausfall wird der Mäzen wohl verkraften können. Schließlich schmückte sich der Architekt in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung mit einer Investitionssumme von »30 Millionen«. Daß er auch sonst sehr viel von Gestaltung versteht, bewies er mit seiner Lobrede auf die Architektur der Grundkreditbank. Also ein richtiger Glücksfall für Berlin und seine KünstlerInnen, sucht unangepaßte Kunst doch meist vergeblich nach geeigneten Ausstellungsräumen. Und schließlich durften die KünstlerInnen ganz nach Belieben Wände herausreißen und neue Wände ziehen.

Doch auch dieses Idyll ist nicht von Dauer. Denn nach dem Umbau werden hier vornehme Büroetagen entstehen. Dann kostet der Quadratmeter 120 Mark im Monat, und kaum ein Künstler wird sich diese Miete wohl leisten können. Der Mäzen pries ersatzweise die Kunst am Stadtrand als künftiges Modell an. Dann werden die KünstlerInnen wohl wieder brave Müggelsee-Landschaften malen und nicht auf so dumme Gedanken kommen, das engagierte Parteimitglied mit den eigenen Wahlplakaten zu ärgern. Doch auch dagegen ist der Unternehmer durch Weitherzigkeit gefeit, so daß es nicht einmal am Eröffnungsabend zum erwarteten Eklat kam. Immerhin hatten Klaus Hoefs und Oliver Oefelein in einer Installation ein Wahlplakat der SPD zum Kunstwerk erhoben und wollten wohl damit sagen, daß auch deren Parole: »Kein Platz für Miethaie« längst in den Bereich der Ästhetik gehört. Feierlich setzten sie es schützend unter Glas und ließen es allein in einem großen Raum stehen. Hier geht es also um die Doppelmoral der politischen Parteien, wer hätte es gedacht?

Die steigenden Ateliermieten, waren ebenfalls für Oliver van den Berg Anlaß genug, ein Schild mit der Aufschrift »Büroräume an solvente Unternehmen zu vermieten« beherrschend in einen Raum plaziert. Ob der Holzhammer zum Verweis auf ein gegenwärtiges Problem die günstigste Methode ist, sei einmal dahingestellt. Sprödes Berliner Milieu wird sich natürlich nicht an den Wänden des runderneuerten Hauses finden. Die hier einziehen, werden lieber mit dem tausendsten Abzug einer Chagallschen Lithographie protzen.

Die Kunst des UMBAU aber ist unbequem, stachelig und sträubt sich gegen einfache Vereinnahmungsversuche. Im kühlen Erdgeschoß dominiert das verdeckte Spiel von Erotik und Gewalt. Zwischen Schlachthof und Bettlaken lassen sich die Fotografien Jenö Gindls ansiedeln. Verschattete Bildzonen sorgen für die Ambivalenz der Aussage. Mark Hipper breitet auf seinen Bildern rosafarbene Leiber aus, die sich wie Opfer dem Blick darbieten. Darüber legt sich der »Milieuteppich«, denn nichts ist bunt, plüschig und glänzend genug für nice von Andreas Harder, der in einem Gemisch aus Neo-Koons und Oldenburgschen Bedroom-Ensemble das alltägliche Disneyland des Durchschnittswohnzimmers zusammenstellt.

Und nichts ist zu schön, um nicht wahr zu sein. Hans Piehler findet den Schein des Daseins in seinen grellen Panorama-Fotografien häuslichen Glücks, das zwischen dem Datschen- Trabi-Idyll und der Rocky-Mountains-Wohnzimmer-Tapete im Takt der Kuckucksuhr pendelt. Nach Neo-Pop und Neo-Soz führt der Weg ins Café, vorbei an drei Hühnern auf der Stange, die Gio di Sera in sein Großstadt-Environment auf frisches Stroh gesetzt hat. Für di Sera hat Berlin seinen »Stil zwischen Hinterhof- Idyll und der Geräuschkulisse einer Metropole« gefunden. Doch »was ist der Stil von New York?« fragt ein Graffito an der Wand. Im Hinterzimmer des Cafés gibt Stefan Hoenerloh eine mögliche Antwort. Einstürzende Altbauten könnte der Titel dieser Werkreihe lauten, in der Hoenerloh das Antlitz einer toten Stadt mit dramatisch fluchtenden Perspektiven beschreibt. Menschenleere Straße, bröckelnder Putz und triste Fassaden verbreiten Endzeitstimmung. Unter jedem Bild ist ein Kästchen voller Fundstücke längst vergangener Zeiten angebracht: verstaubte Schrauben, ein toter Vogel, alte, verblichene Fischkonserven. Hoenerloh schaut durch die infernalische Brille des Überlebenden. Der Milieuteppich nähert sich dem Jenseits.

Neben den konzeptuellen Arbeiten, die sich eigene Räume schaffen und auf Vorgefundenes reagieren, hat die impulsive Malerei einen schweren Stand. Beeindruckend die explosiven Farbgestaltungen Sascha Kürschners, der aus grellen Rot- Grün-Kontrasten Bilder wie Rote Balz und Ausritt komponiert, in denen sich auflösende Figuren und Gestalten wild agieren und von überquellenden Farblachen verschluckt werden. Dieser ausbrechenden Emotion sind im selben Raum die introvertierten Tafel-Bilder Johannes Kahrs geschickt konfrontiert. Kahrs beschränkt sich auf den Gegensatz Schwarz-Weiß, montiert in seine Arbeiten bemalte Fundstücke, auf die er, frei nach Bauysscher Manier, Gedanken wie im Brainstorm notiert. So entsteht die Collage good man — bad man, die versucht, Situationen und Begrifflichkeiten zu fassen.

Aus dem Raumensemble Joy of Colour stechen die großformatigen Fotografien Mike Hughes hervor. Sakrales und Banales ist neben- und miteinander kombiniert. Bilder, die nach Authentizität fragen, die in einer Ambivalenz von Konstruktion und Natürlichkeit stehen.

Die Räume selbst sprechen für sich. Vor den Augen des Betrachters steigen die einstigen Nutzungen wieder auf. Wo standen die Maschinen? Wo hatte der Vorarbeiter seinen Platz? Ein offensichtlich alter Büroraum, eine verblichene Tapete, Flecken zeigen an, wo der obligatorische Blümchenkalender der Sparkasse hing. Über dieses Kunterbunt reiht sich nun eine Folge von weißen Sicherungen, aufmontiert auf schwarz lackierten Tafeln, Für den Fall genannt. Darunter, im selben Rhythmus, eine Reihe von Schwarzweißfotografien, die Kriegsschiffe aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Gösta Röver überschrieb diese Installation mit dem Titel Eine Seefahrt, die ist lustig. Das Gedächtnis als notwendiger Halt, die Erinnerung als Bestimmung der Gegenwart mag hier intendiert sein. Gleichzeitig stellt sie die Frage nach Ausdruck und Bedeutung der Fotografie, eine Frage, der auch Ruudi Beier mit seiner Installation Ans Eingemachte auf der Spur ist: Eingeweckte Fotografien, in einem Vitrinenschrank aufgebahrt, stehen zwischen der individuellen Erinnerung und der Bildkonserve. In einer weiteren Installation plaziert Baier ein wächsernes Elchhaupt unter einer Lampe. Das Deutsche Kulturgut unter afrikanischer Sonne schmilzt langsam dahin, seine Tropfen bilden am Boden neue bizarre Formen.

Von hier aus ist der Weg zu Wolfgang Petricks Dachgeschoß. Bis hierhin haben sich also die Schüler hochzuarbeiten. Ein wildes Gemisch von Ängsten und Lüsten stellt sich auf diesen Werken dar, die allzuoft zum emotionalen Höhenflug tendieren. Zwischen Scherben und Nägeln ragen die eigenwilligen Holzskulpturen Petricks auf. Der gerupfte Federflügel unter blauem Licht kommt indifferent daher, sich einerseits in die Höhe schwingend und doch gleichzeitig Bruchstück des Absturzes darstellend.

Der Himmel will aber auch Labor und Quelle neuer künstlerischer Konzepte sein, das Gehirn des UMBAU. Hier haben sich in den noch bestehenden Versuchslaboratorien die Dead Chickens eingenistet. Auf Knopfdruck geraten kosmische Monster in Bewegung, die in ihrem Gemisch aus Schrott und Pappmaché, aus Urwald und Science-fiction klappern und rotieren und dennoch nicht in einem Akt des Autodafé zerfallen. Sie bestehen, werden sogar richtig bedrohlich, speien Feuer.

Diesem aktionistischen Spiel entsprechen die großformatigen, überquellenden, von Energie geladenen Malereien Romen Banerjees. In dem gewissen Maß des Zuviel sind sie nicht nur Kulisse des Gehirns, sie nehmen es selbst ein — ein beeindruckendes Stück Malerei.

Alle beteiligten KünstlerInnen haben die Gelegenheit zur Selbstdarstellung genutzt. [Apropos: Künstlerinnen! Waren ihre Produkte nicht erwähnenswert, denn vorkommen tun sie in dieser Ausstellung? d. säzzer] Zwischen Petrick-Schule und Konzeptkunst ist eine breite Palette Berliner Kunst da, die sehr bewußt von dem eigenen Lebensort ausgeht. So ist das Übergewicht des Milieuteppichs gegenüber dem Himmel wohl beabsichtigt. Martin Schönfeld

UMBAU noch bis zum 30. Juni, Friedrichstraße 231