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Die Liebe zum Knallfrosch

■ Henri Michaux in Asien

Der belgische Schriftsteller und Maler Henri Michaux unternahm von 1930 bis 1931 eine ausgedehnte Reise nach Indien, China, Nepal, Japan und Bali. Michaux reiste als „Barbar“ und enthebt sich mit diesem Titel jeglicher Verpflichtung, das Fremde erklären zu müssen. So läuft er unbefangen, neugierig durch die Straßen, den Blick weniger auf die Gesellschaft als Ganzes denn auf ihre Details gerichtet. Auf die Faszination der Chinesen für Knallfrösche zum Beispiel und wie diese die klassische chinesische Musik beeinflußte. Ihn begeistern Fische wie „aus Pyjamastoff“ im Aquarium von Madras, andernorts beobachtet er „sexbesessene Tauben“ oder Besonderheiten der Inneneinrichtung der Himalaya-Railway: „Auch eine Hutablage hat man nicht vergessen. Auf ihr kann man ohne weiteres eine Schachtel Pastillen oder eine Zehnerpackung Zigaretten unterbringen.“ Die Auswahl seiner Impressionen ist streng subjektiv, wobei einige Motive immer wieder auftauchen, etwa Eigenarten der regionalen Kinokultur oder die der unterschiedlichen Sprache. „Das Tamil ist eine agglutinierende Sprache. Man verklumpt, was man kann. Drei Wörter zu einem. So, nur ein wenig komplizierter, entstehen sicherlich die Zehn- oder Vierzehnsilber. Diese Wörter sind eine Rennbahn. Man spießt die erste Silbe auf und schießt in vollem Tempo los.“

Mal mehr, mal weniger explizit ist Michauxs Sympathie oder Abneigung gegenüber dem, was er sieht oder hört, immer präsent. Damit nimmt er einen Stil vorweg, den sich die morderne Ethnologie in der zweiten Jahrhunderthälfte nur mühsam zurückerobern konnte. Michaux schreibt über die Fremden nicht mit dem pseudo-akademischen Impetus des Wissenschaftlers, weil Objektivität im Genre der Reisebschreibung nur ein anderes Wort für Verlogenheit sein kann. Genauso sicher meidet Michaux aber auch die Gefahr der kumpelhaften Annäherung. Für einen durchreisenden Europäer gibt es im Kastensystem nun mal kein bereitstehendes Gästezimmer, von wo aus es sich atheistisch und aufgeklärt mit allen Schichten prima kommunizieren ließe. Der Weg durch die hierarchischen Verästelungen wird von Michaux mit einigen ausfälligen Bemerkungen gegenüber den Brahmanen kommentiert, doch eigentlich sind es die Unterwürfigen, die an seinen Nerven zerren. „Diener waren mir immer schrecklich peinlich. Sehe ich einen, überkommt mich die Verzweiflung.“ Konditioniert durch das post-natinalsozialistische Tabu, nie pauschal über einzelne Völker zu reden, zu denken oder zu schreiben, stolpert man vielleicht zunächst über apodiktische Sätze wie „Hindus sind naturgemäß entzückt über die Vorschriften.“ Oder: „Der Chinese blickt dem Tod ohne jede Tragik entgegen.“ Michaux aber benutzt solche Stereotypen offensiv. Seine Typologie verliert die Aggressivität, weil deutlich wird, daß dieses Verfahren sehr präzise sein kann, Widersprüchlichkeiten zuläßt und Michauxs Begeisterung für gewisse Sitten und Verhaltensweisen dadurch ehrlich wirkt. „Die chinesische Frau umsorgt einen. Sie meint, man wäre bei ihr in Behandlung. Nie dreht sie sich auf ihre Seite. Sie umschlingt einen, wie der Efeu, der nicht lockerlassen kann. Und der zappeligste Mann wird sie nahe und anschmiegsam finden wie ein Laken.“

Einigermaßen beiläufig, irgendwo mittendrin, entdeckt man eine Begründung für diesen Reisebericht, eine Allegorie, mit der Michaux auf die Verwunderung derer reagiert, die es merkwürdig finden, daß er sich zwar nie über seine Heimat geäußert habe, dann aber ein ganzes Buch über Asien veröffentlichte. Es sei, als würden sich ein Affe und ein Pferd zum ersten Mal begegnen und dann bemerken, daß der seine Blüten von Sträuchern abreißt und seinen Gefährten die Bananen klaut. Der Affe erkennt schnell die Unfähigkeit des Pferdes, sich an Ästen baumeln zu lassen und so weiter — dennoch wertschätzen beide die gegenseitige Anwesenheit. „Man nimmt an, der Affe entspanne das Pferd mit seinen Grimassen, seinen Sprüngen und seinem anderen Rhythmus. Was den Affen betrifft, so soll er die angenehme Nachtruhe schätzen. (Ein Affe, der unter seinesgleichen schläft, ist ständig auf der Hut.)“ Dorothee Wenner

Henri Michaux: Ein Barbar in Asien. Aus dem Französischen von Dieter Horning, Literaturverlag Droschl, Graz 1992, 185 S., 34 DM

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