INTERVIEW: »Eberhard Diepgen — der Traum meiner Oma«
■ Die Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Grüne, Renate Künast (AL) und Sibyll Klotz (UFV), zur Haushaltslage
taz: Die Berlinhilfe wird offensichtlich noch schneller abgebaut als bisher erwartet. Der Berliner Senat verhält sich in Bonn sehr leise. Ist das das richtige Vorgehen in einer solchen Situation?
Renate Künast: Eberhard Diepgen verhält sich in Bonn wie der Traum meiner Oma: mit artig gescheitelter Frisur und Taschentuch in der Hosentasche. Er gibt sich in Bonn immer noch so wie ein Regierender Bürgermeister von West-Berlin, einer ummauerten Stadt. Aber für eine Stadt, die diese Mauer nicht mehr hat, die einen Ostteil hat und mitten in den neuen Bundesländern liegt, ist das genau das falsche Verhalten. Diepgen hätte die Aufgabe, nicht artig und bescheiden nach Bonn zu gehen, sondern offensiv einzutreten für Berlin und die neuen Länder.
Wäre es mit dem offensiveren Auftreten schon getan?
Renate Künast: Es geht nicht nur um das offensivere Auftreten, sondern darum, endlich nicht mehr einen reinen Westblick zu vertreten. Es geht darum, denen in Bonn klarzumachen, was es in den neuen Bundesländern für Probleme gibt, daß die Menschen dort im Moment keine Perspektive haben. Ich meine damit nicht, daß er sich zum Wortführer der neuen Länder machen sollte, aber bestimmte Probleme in Absprache mit den Ost-Ländern gebündelt werden müßten.
Heute morgen ist überraschend die BVG in Ost-Berlin in den Streik getreten, weil sie mit den Abschlüssen im öffentlichen Dienst nicht zufrieden ist. Würde das nicht einem solchen Auftreten Rückenwind geben?
Sibyll Klotz: Der Regierende Bürgermeister hat heute seine Quittung dafür bekommen, daß er den Menschen im Osten die ganze Zeit eine rasche Angleichung der Lebensverhältnisse versprochen hat. Die Leute im Osten haben eben genau das Gefühl, daß ihre Interessen nicht vertreten werden. Man wartet ja schon lange darauf, daß die Leute im Osten anfangen, sich selbst zu organisieren, anfangen, ihre Interessen zu vertreten. Der Spontanstreik ist ein Indiz dafür, daß so etwas vielleicht jetzt passiert.
Steht uns jetzt ein heißer Sommer bevor?
Sibyll Klotz: Ich weiß nicht, ob man das an Jahreszeiten festmachen soll. Entscheidend ist für mich, daß die Leute merken, daß mit dieser Stellvertreterpolitik von Westpolitikern ihre Interessen in Bonn nicht vertreten werden.
Nun ist das Ausscheren aus der Tarifgemeinschaft der Länder vom Senat als mutiger Schritt bezeichnet worden. In Ost- Berlin sieht man das offensichtlich anders?
Sibyll Klotz: Wenn dieser Senat irgend etwas nicht ist, dann mutig. Und man muß einfach sehen, daß er immer etwas anderes versprochen hat.
Ist es nicht eine völlige Fehlkalkulation dieses Senats, immer nur auf riesige Langzeitprojekte wie Olympia und Hauptstadt zu setzen und dabei überhaupt nicht mehr zu sehen, wo die eigentlichen Probleme in dieser Stadt liegen?
Renate Künast: Es geht nicht nur darum, daß mit diesen Projekten den Menschen im Moment, und das ist das Entscheidende, keine Perspektive geschaffen wird. Die eigentliche Tragik liegt doch darin, daß man sich immer auf Projekte verlegt, die man nicht allein umsetzen kann, sondern immer nur mit Bonn. Es geht nie um Initiativen, die im nächsten oder übernächsten Jahr und aus eigener Kraft umgesetzt werden können.
Das heißt, die Berliner Politiker haben immer noch nicht begriffen, daß sie jetzt eine neue Rolle spielen müssen, jenseits der alten Subventionsmentalität?
Renate Künast: Es ist immer noch diese Erwartung da, daß Bonn der letzten Bastion der Freiheit vor Moskau alles finanzieren wird. Und man ist gänzlich uninspiriert, wenn es darum geht, Ideen zu entwickeln, die für die Stadt eine Perspektive und Arbeitsplätze schaffen. Beim Abbau der Berlinhilfe gäbe es die Möglichkeit, statt immer nur zu schreien, endlich über eine Umverteilung nachzudenken, wie wir es schon lange fordern.
Nun ist die Ideenlosigkeit des Senats eine Sache, eine andere ist die der Opposition, die gerade unter dieser Koalition alle Möglichkeiten hätte, andere Ideen, andere Konzepte zu entwickeln.
Renate Künast: Den großen Wurf hat wohl niemand in der Tasche, aber zu einzelnen Fragestellungen haben wir schon Lösungsvorschläge. Berlin hat kein Geld, verschleudert aber Filetgrundstücke an Investoren. Das muß nicht sein. Oder der Regierungsumzug. Hier gilt es zu verhindern, daß die Innenstadt unter Großinvestoren und Ministerien aufgeteilt wird, und statt dessen dafür zu sorgen, sie für die Bewohner finanzierbar und lebendig zu halten. Nicht nur dafür, sondern auch für eine andere Verkehrspolitik, bei der die Zweibeiner und Zweirädler nicht unter die Vierrädler kommen, haben wir Konzepte. Aber den einen Entwurf für etwa Berlin 2000, den kann es nicht geben. Interview: K. Doerfler/G. Nowakowski
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