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INDIANISCHE HEILUNGSRITUALE IN US-AMERIKANISCHEN GEFÄNGNISSEN

Schwitzhütten hinter Gittern

Seit zehn Jahren führt der indianische Medizinmann der Wampanoag- Indianer in Massachusetts, Manitonquat, regelmäßig in verschiedenen US-Gefängnissen Heilungsrituale durch. Er errichtet Schwitzhütten für Straffällige im Gefängnishof. Die amerikanische Regierung ist gezwungen, die indianischen Zeremonien zu dulden: der 62jährige Manitonquat kommt als Priester seines Volkes, und in den Staaten gilt das Gesetz der Freiheit aller Religionen— auch in Gefängnissen.

„Nirgendwo sonst zeigt sich die Destruktivität im System des weißen Mannes deutlicher als im Knast. Deshalb muß meine Arbeit hier beginnen“, so begründet Manitonquat sein ungewöhnliches Projekt.

In den ersten Jahren hielten die Aufseher ihn und seine Crew für verrückt. Sie konnten nicht fassen, daß sich Menschen freiwillig und unbezahlt mit „Schwerverbrechern“ abgeben. Heute begrüßen die Justizbediensteten das Projekt, nennen den Medizinmann und seine Freunde beim Namen.

„Wir sitzen mit den Insassen, die an unseren Ritualen interessiert sind— nicht alle sind Indianer —, in einem Kreis. Derjenige, der spricht, hält den Redestock in seiner Hand. Das Symbol, das alle Aufmerksamkeit ihm gehört“, erklärt Manitonquat. In diesen Sitzungen erhalten viele Strafgefangene zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Sie erzählen ihre Lebensgeschichte, dürfen authentisch sein, ohne dafür bestraft zu werden. Viele sind völlig aufgewühlt, weil ihnen zugehört wird. „Niemand sagt: ,Du bist falsch, dumm, ein Verbrecher.‘ Im Kreis werden sie von den anderen so angenommen, wie sie sind — mit allen Gefühlen, die ihre Einzigartigkeit ausmachen.“ Viele der indianischen Inhaftierten seien nur deshalb zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil sie sich keinen Anwalt leisten konnten und als Angehörige einer sozialen Minderheit immer mit härteren Strafen zu rechnen hätten. Die, die tatsächlich gewalttätig geworden seien, hätten ihr Delikt meist im Vollrausch ausgeführt, erzählt der Indianer.

Einmal im Monat führt Manitonquat mit den Strafgefangenen die Schwitzhütten-Zeremonie durch. Dazu errichtet er ein Zelt aus Ästen und Bärenfellen. Im Gefängnishof entzündet der Indianer das heilige Feuer. Darin werden Steine erhitzt. Die Inhaftierten setzen sich dicht an dicht und nackt in die Hütte. Dann werden die glühenden Steine in die Mitte gelegt. Die Temperatur steigt weit über 120 Grad. Niemand darf die Hütte verlassen. Nach indianischem Glauben reinigt Hitze Körper und Seele.

Die Gefangenen fiebern dem monatlichen Ritual entgegen. Der lebenslänglich verurteilte Pete Houston (27) berichtet, daß er sich ein Leben hinter Gittern ohne die Zeremonie nicht mehr vorstellen könne.

„Einen Menschen einfach nur ins Gefängnis zu stecken ist Unsinn“, versichert der Medizinmann. „Das ändert gar nichts. Solange das System den einzelnen unterdrückt, ihn in Angst hält und seine Einzigartigkeit verleugnet, kann es nur immer noch mehr Verletzung, Verdrängung und Gewalt geben. Der Knast macht die Menschen nicht besser. Ich will erreichen, daß die Gefangenen das Gefühl bekommen, etwas Besonderes zu sein. Erst wer sich selbst liebt und achtet, kann anderen mit Achtung begegnen.“

Auf die Frage, was man machen kann, wenn jemand durchdreht und tötet, antwortet Manitonquat: „Das ist schwierig. Er muß eine Zeitlang besonders betreut werden. Man muß ihn erreichen, ihm helfen. Vielleicht kann er die Sprache der Liebe nach und nach wieder erlernen. Einsperren ist auch dann keine Lösung.“

Prinzip Heilung

Heilung, so sagt er, liegt für uns einzig im Prinzip des Kreises. Er sei das Symbol der Verbindung alles Existierenden, die Vereinigung aller Gegensätze. „Die Gemeinschaft meiner Vorfahren lebte ohne Gesetze, Gefängnisse, Polizisten und Anführer. Sie setzten sich im Kreis zusammen, um nach einer Lösung zu suchen. Keiner beanspruchte für sich, von vorneherein im Recht zu sein, entscheiden zu können, wer führt und wer zu folgen hat.“

Diesem Prinzip steht nach seiner Überzeugung das der Pyramide gegenüber: „Sie steht für Unterdrückung und Zerstörung. Eine kleine Gruppe, die sich als Führungselite definiert, befindet sich an der Spitze jeder zivilisierten Gesellschaft und lebt auf Kosten des Volkes. Um ihre Privilegien zu sichern, schaffen sie sich Gesetze, Waffen, Armeen, Richter, Gefängnisse und Feindbilder.“ Daß es heutzutage die großen Konzerne sind, die gegeneinander kämpfen, daß sich die Verdrängung der Amerikaner als führende Weltmacht durch japanische Wirtschaftsbosse und ihren Vorsprung an Technik und Kapital vollzieht, ändert, so der Medizinmann, nichts am pyramidischen Aufbau der einen wie der anderen Gesellschaft. Die Elite ist lediglich eine andere. Angst ist nach Manitonquats Auffassung die vorherrschende Emotion des modernen Menschen. Bald jeder fürchte sich vor der Kriminalität, vor Arbeitslosigkeit und den Drogen. Die Lösung der Regierung: mehr Polizei, mehr Knäste für noch mehr Schuldige. Die Menschen, so Manitonquat, verurteilen sich gegenseitig, ohne die Ursachen der Kriminalität zu erkennen: die Entwürdigung des Individuums. Anne Rotthaus

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