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Live hinter dem „heißen Stuhl“

Thema Asyl/ Ein taz-IM bekennt: Ich war bei RTLplus  ■ Aus Köln Ludger Deckers

Was wäre der Kampf von Gladiatoren ohne ein Live-Publikum, das den Schlagabtausch in der Arena begleitet, das für Stimmung sorgt, damit bei denen, die solche Duelle inszenieren, die Kassen klingeln? Das war schon früher so bei den alten Römern. Das gleiche Strickmuster reproduziert sich heute in den privaten Tele-Arenen. So hatte ich die Gelegenheit, als Zuschauer in die Explosiv-Studio-Arena des Privatsenders RTL plus geladen zu sein. Weil das Streitobjekt „Asyldebatte“ mir so wichtig ist, folgte ich der Einladung.

Daß es nicht um eine Diskussion mit wohldurchdachten Argumenten, geschweige denn um die Klärung offener Fragen in der Asyldebatte gehen würde, war mir schon vorher klar. Daß die Regieanweisungen für Unterhaltungsshows gelten und jegliche Form dialogischer Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten verbieten, veranschaulichte die inhaltsleere Phrasen-Moderation von Olaf Kracht, der hier lediglich den Dompteur zu spielen hat und auf die Einhaltung der Werbeblöcke achten muß. Was mich allerdings als teilnehmender Beobachter vor der Kamera erwartete, läßt sich kaum noch mit einer politisch ahnungslosen Tolpatschigkeit der Programmredaktion entschuldigen, sondern muß als zynisches Unterhaltungsspiel um die Lebensgeschichten, um das Schicksal der Flüchtlinge entlarvt werden.

Schon in der Warteschlange vor dem Studio fällt die große Anzahl von Aktivisten der „Deutschen Liga“ auf, von deren ordnungsgemäßer Einladung mich die Gästeliste der Programmleitung überzeugte. Während die Studiokantine Freibier austeilt, kursieren erste rechtsradikale Publikationen ('Deutsche Rundschau‘) im Kreise des wartenden Studiopublikums. Die Eingangsszene wird abgerundet durch die Streifenwagen der örtlichen Polizei. Offenbar rechnet der Sender mit möglichen Auseinandersetzungen, die der private Wachdienst allein nicht mehr bewältigen könnte.

Im Studio bemüht man sich um die Einhaltung der festgelegten Sitzordnung, damit die Fronten klar sind. Nach der Begrüßung übernimmt eine junge, offensichtlich spanische RTLplus-Mitarbeiterin die Einstimmung der Zuschauer: Sie sollen sich aktiv und laut in die Rededuelle einmischen. Die Liste der Möglichkeiten wird aufgezählt und eingeübt: Klatschen, Pfeifen, Buhen — „ja, das klappt ja schon ganz gut“ — Rufen, Stampfen, Schreien. Aber „bitte nicht mit harten Gegenständen werfen“, mahnt der Moderator vorsichtig die Einhaltung der Schmerzgrenze an; schließlich geht es ja um ein Menschenrechtsthema und außerdem: Studioscheinwerfer, -gäste und -mitarbeiter sind teuer. Stimmung muß sein, aber bitte telegen, zum Mitmachen für die Zuschauer vor den Bildschirmen.

So wird erst einmal im Vorlauf der Sendung eingeheizt mit jeder Menge Beleuchtung und mit kontroversen Zitaten aus der Asyldebatte der streitenden Parteien. Albernheiten und Scherze loben und motivieren das Publikum, das so schnell begriffen hat, worum es geht, und den aggressiven Ton findet, den die Macher sich als Arena-Background wünschen. Als dann die spanische Mitarbeiterin mit den Worten „wie reagieren Sie, wenn ich rufe ,Ausländer raus‘?“ zur letzten Probe vor Sendebeginn aufstachelt, fällt die rhetorische Schamgrenze und der rechtsradikale Ligablock gröhlt. Sie, deren politische Freunde und Sympathisanten in Hünxe und anderswo Brandsätze in Flüchtlingswohnheime werfen, spüren dankbar, daß der Sender ihnen eine großartige Chance breiter Öffentlichkeitsarbeit bietet. Das ist ja das Schöne an einer Live-Sendung: menschenverachtende Parolen und Plakate ohne Zensur. Ihre Gegenleistung besteht darin, Emotionen zu schüren, Sympathie und Antipathie zu wecken, sachliche Argumente niederzubrüllen, zu polemisieren statt zu differenzieren, den Teil des Volkes zu vertreten, der zwar rechts denkt, aber schweigt und klammheimliche Freude über Gewalt gegen ausländische Mitbürger genießt. Der Deal ist perfekt: die einen brüllen ihr faschistisches Gedankengut via Kabel in die Wohnstuben der Bürger, und die anderen bekommen ihre kostenlosen Showeinlagen, damit das Image stimmt, egal welches Thema ausgeschrieben ist.

Die Sendung lief, wie sie laufen mußte: Verlogen, so verlogen wie die Asyldebatte selbst. Wir, die Teilnehmer, werden eingesetzt als Spielfiguren, die dem Dompteur in der Moderation assistieren, das Streitniveau im Wortgefecht zu drücken, chipsgerecht, für den leichten Konsum im Fernsehsessel, eben RTLight. Nach der Sendung bittet die spanische Einheizerin einige ausländische FreundInnen noch zu bleiben bis Polizeischutz zum Parkplatz organisiert ist, damit „ihnen draußen vor der Tür niemand etwas tut“. Vielleicht hat sie selbst doch etwas gelernt: Hoyerswerda ist überall.

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