: Morbidität und Leidenschaften
■ Zwei Neuerscheinungen des Bremer Manhold-Verlages: „Der Duft der Vanille“ und „Das Geständnis“
Brilliante Novitäten, made in France, Gallimard ist immer eine gute Adresse. Das hat sich der Bremer Manholt Verlag mit seinen beiden außergewöhnlichen Neuerscheinungen zu eigen gemacht. Natürlich sind es in erster Linie Sujet und Stil der Autoren, welche die kleinen, sorgfältig gestalteten Bände zum Leseerlebnis machen. Georges Limbour, zeit seines Lebens verkannt und erst post mortem zu Dichterehren gelangt, greift in seinem Roman „Der Duft der Vanille“ (1938) Realität und Mythos dieser Pflanze aus der Gattung der Orchideen auf. Eine ausufernde Phantasmagorie, durchzogen von Morbidität und verzehrenden Sehnsüchten, eine hitzeflirrende Fata Morgana, auf der Schwelle zwischen Einbildung und Wirklichkeit.
Eine abgelegene tropische Insel in der Mitte des 18.Jahrhunderts. Nur wenige Europäer haben sich hierhin verirrt. Zu erdrückend wirken Klima und die stete Wiederkehr alltäglicher Verrichtungen. Van Houten, ein machtbesessener holländischer Kolonialherr, hat seinen vertrottelten Verwalter auf diesen Druckposten versetzt, um archäologische Studien zu treiben. Doch es gibt nichts zu ergründen außer den Wirkungen von Hitze und Alkohol. Daher sind die Ergebnisse mehr als mager. Seine todkranke Frau, längst verflüchtigten Düften nachsinnend, öffnet, von einem letzten sinnlichen Verlangen angetrieben, eine Schublade abgelegter Utensilien. Schon verbreitet sich ein betörendes Aroma, das jeden in seinen Bann schlägt. Besonders Van Houtens Ehrgeiz ist geweckt. Ist es nicht so, daß mit genügend Kapital das Himmelreich auf Erden geschaffen werden kann? Er verfügt, die Vanille in großem Stil anzupflanzen. Der expandierende Weltmarkt wartet schon auf ungewöhnliche exotische Gewürze und Essenzen. So sehr der Verwalter seinen durch Alkohol und Erfolglosigkeit getrübten Verstand auch bemüht, die Pflanzen bleiben unfruchtbar, wollen sich, aufgrund eines unergründlichen Geheimnisses, nicht vermehren. Eher durch erotischen Zufall als durch planvolles Handeln entdeckt ein Sklave und notorischer Schürzenjäger die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung. Träume von Reichtum und Luxus schießen wie wild ins Kraut. Doch weder das unstillbare Fernweh des Sklaven noch die wiedererlangte Reputation des Verwalters halten lange an. Die Ladung Kolibris, welche die Befruchtung der widerborstigen Pflanzen übernehmen soll, verendet kläglich auf dem Transport und gelangt lediglich als Haufen stinkender Federn an ihren Bestimmungsort. Wieder einmal hat das Auftauchen geblähter Segel am Horizont eine Hoffnung zunichte gemacht. Das jähe Aufblitzen eines sorgenfreien Lebens ist im Nu in sich zusammengefallen. Recht behalten die phlegmatischen Einheimischen, die in stoischem Fatalismus nur an spontanen Vergnügungen festhalten,den Glauben an fundamentale Veränderungen durch die Weißen jedoch nie gehegt haben. Einzig die junge Tochter des Verwalters vermag der Resignation durch ihre Abreise nach Europa zu entfliehen. Zurück bleiben Dumpfheit, Enttäuschung und Ernüchterung. Der Alltag mit seinen unbedeutenden sinnlichen Abwechslungen ist zurückgekehrt.
Limbour, wegen seiner Neigung zur „Literatur“ aus der Gruppe der Surrealisten verstoßen, brennt ein schwindelerregendes Feuerwerk sinnlicher Metaphern ab, das bestens mit einer realistischen Erzählweise korrespondiert: ein Wechselbad widerstreitender Gefühle und eine pralle Allegorie auf den Untergang der Kolonialzeit.
Roger Martin du Gard,für sein Epos „Die Thibaults“ 1937 mit dem Nobelpreis bedacht, nimmt sich vergleichsweise bescheiden aus. Sein Text „Das Geständnis“, wenngleich wegen seiner Inzest- Thematik nicht ohne Brisanz, ist nüchtern und schnörkellos gehalten. Er setzt auf die sorgsame Konturierung seiner Handlungsträger. Das sind der Schriftsteller selbst und ein algerischer Buchhändler,der zum Freund und Geständigen eines unerhörten Liebesverhältnisses wird. Eine stilistische Fingerübung, die durch psychologische Raffinesse und fehlenden moralischen Ballast besticht. Wie das wahrscheinlich häufig vorkommt: der umsichtige Verleger würde, neben dem großangelegten Werk, noch ein kleines literarisches Schmankerl veröffentlichen und fragt nach liegengebliebenen Manuskripten. Natürlich führt auch unser Autor ein Tagebuch. Das Leben ist schließlich zu seiner Verwertung da. Und eine Episode könnte durchaus von allgemeinem Interesse sein. So wirken die weiteren Ausführungen wie ein abgeschlossenes Dokument. Sie werden einem aufgeschlossenen Publikum als unumstößliche Erfahrung offeriert.
Natürlich greift das Geständnis geschwisterlicher Liebe weit in die Geschichte der Familie zurück. Ein tyrannischer, mürrischer Vater, jähzornig und altersunberechenbar, der fehlende emotionale Ausgleich durch die früh verstorbene Mutter und das jahrelange Nebeneinander von Bruder und Schwester in einem Zimmer unterm Dach. Durch Neckereien und Provokation geraten zwei entflammte Körper an- und ineinander und verleben vier Jahre einer heimlichen und verzehrenden Leidenschaft. Mit dem Eintritt des Bruders in den Militärdienst wird die glühende Melange unterbrochen. Die Tage fiebriger Efüllung neigen sich unweigerlich dem Ende zu. Der Vater drängt zudem auf Heirat mit dem älteren Teilhaber. Lieber würde sich die Schwester umbringen. Das zumindest nimmt sie sich vor. Der Preis für eine Einwilligung wäre ein Abschiedsgeschenk vom geliebten Bruder. Ein Kind muß her. Danach ergibt sich die Schwester, zur Süßigkeiten verschlingenden Matrone aufgeschwemmt, ins unvermeidliche Schicksal von Gebären und schwermütigen Ausschweifungen. Das Kind jedoch ist kränklich und stirbt, trotz verzweifelter Versuche zu seiner Genesung, an Tuberkolose. Das könnte ein moralischer Wink mit dem Zaunpfahl sein, wird jedoch als unabänderlich und vom Zufall bestimmt dargestellt. Auch die Erinnerung an die Liebesbeziehung zur Schwester zählen für den lakonisch Zurückblickenden zu den intensivsten seines Lebens. Per Hansen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen