Wo die Eisenbahn durch den Dorfteich fährt

■ Eines der »größten Entwicklungsprojekte Europas« soll das Flughafendörfchen Schönefeld zu einer mittleren Stadt mutieren lassen/ Geplant sind gemischte Gewerbe- und Wohngebiete/ Angst der Bürger, über den Tisch gezogen zu werden

Berlin. Gleich hinter dem Parkplatz des Flughafens Schönefeld: eine Zäsur. Das bis dahin großzügig ausgebaute Asphaltband der Bundesstraße 96 verengt sich urplötzlich und wird zur Landstraße, gesäumt von Bäumen. Hier beginnt die eigentliche Ortschaft Schönefeld. Direkt am Südrand Berlins gelegen, fristete das Dorf während der gesamten Zeit der DDR ein Außenseiterdasein. Der Name wurde schnell ein Synonym für den Flughafen, die Gemeinde selbst ist für kaum jemanden ein Begriff.

Auch von der Politik wurde der Ort stiefmütterlich behandelt. Der Dorfanger wurde durch einen vierspurigen Schienenweg in der Mitte geteilt. Sämtliche Planungen, die den Ausbau der Plattenbausiedlung Altglienicke auf Schönefelder Gebiet vorsah, blieben im märkischen Sand stecken. Doch Spuren haben die Planungen hinterlassen. Ungenutztes Ackerland erstreckt sich nördlich der Gemeinde bis an die Grenzen Berlins, in den Himmel Richtung Osten ragen die Hochhäuser Altglienickes, den Norden bestimmen die am Horizont aufragenden Wolkenkratzer der Gropiusstadt. »Eine Mondlandschaft«, meint auch der Bürgermeister von Schönefeld. Klaus Huhndorf hat, wie viele Bürger in der Gemeinde, die »Planungen, wo nichts passiert« satt.

In der vergangenen Woche wurde der Öffentlichkeit eines der flächenmäßig »größten Entwicklungsprojekte Europas« vorgestellt, ein Mammutplan, der die Umformung des 2.000-Seelen-Dorfes in eine mittlere Stadt zum Ziel hat. Ein von der Gemeinde in Auftrag gegebener Flächennutzungsplan sieht, bis auf Grünschneisen in Stadtrandlage, die komplette Bebauung des noch brachliegenden Geländes vor. Es soll eine Art Mischsiedlung entstehen, Gewerbegebiete neben Wohnflächen, Arbeiten und Wohnen sollen kombiniert werden. Die praktische Umsetzung dieses Planes ist gleichwohl nicht frei von Schwierigkeiten. In der konkreten Realisierungsphase ist momentan nur das sogenannte »European Operation Center«, ein Gewerbegebiet nordwestlich des historischen Dorfkernes, das eine Fläche von einer Million Quadratmeter haben wird.

Klaus Laminet, der Geschäftsführer des Münchner Projektträgers INVESTA, der in Zusammenarbeit mit einer Tochtergesellschaft der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank den Ankauf und die Erschließung des Geländes tätigt, möchte »saubere und leise« Unternehmen ansiedeln, im Gespräch sind Versicherungen, Banken und Medienunternehmen, die hier eine Basis für den Ost-West-Handel aufbauen sollen. Angeblich gibt es auch schon Interessenten, unter anderem aus Japan. Laminet glaubt, daß die Investoren ihr Geld unabhängig von der Entscheidung für einen künftigen Großflughafen im Norden oder im Süden Berlins anlegen werden, so daß das Milliardenprojekt in Kürze gestartet werden kann.

Doch weder die Finanzierung der geplanten Wohnungen scheint gesichert, noch weiß man, woher das Geld für die verkehrstechnische Erschließung der Wohnflächen oder Grünanlagen kommen soll. Die Kulturgebäude, von denen sogar die Architektin Elke Behring einräumt, daß zwei Kultureinrichtungen für eine Stadt dieser Größe »etwas knapp« veranschlagt sind, stehen noch in den Sternen. »Das ist eine langfristige Angelegenheit«, äußert sich Klaus Laminet als Projektentwickler vorsichtig.

Dem Bürgermeister Klaus Huhndorf (SPD) ist alles recht. Kategorisch weist er Vermutungen über mögliche Bürgerproteste zurück, er verweist auf die Arbeitsplätze, die ein solches Projekt schaffe. Und nicht nur das. »Im Moment ist die Gemeindekasse absolut leer.« Als Arbeitgeber käme momentan nur der Flughafen, der rund 45 Prozent der Gemeindefläche besitzt, in Frage, »und der zahlt keine Steuern an uns.«

Angst vor Zerstörung des Dorfes

Die Bürger jedoch sind nicht ganz so zuversichtlich. In Gesprächen offenbaren sich bei vielen Unsicherheit und die Angst, über den Tisch gezogen zu werden. In der Bäckerei und der Fleischerei des Dorfes, beide soziale Zentren, löst das Thema »Neue Stadt Schönefeld« schnell Diskussionen aus. »Die bringen doch sowieso alle ihre eigenen Arbeitskräfte mit«, mutmaßt eine Bürgerin. Eine andere glaubt, daß der historische Dorfkern zerstört werde: »Ich habe gehört, die wollen die Kirche und das Pfarrhaus abreißen, die machen unser ganzes Dorf kaputt.« Die Baumaßnahmen, meinen sie, würden sie nicht weiter stören, »hier wird doch überall schon gebaut«. In der Tat, gleich gegenüber entsteht »ein moderner Büropark« im Rahmen des »Berlin Airport Center«, nebenan ist ein Tagungs- und Konferenzhaus im Bau.

Auffallend ist die hohe Politikverdrossenheit der Bürger: »Von Politikern wurden wir zu lange auf den Arm genommen, sehen Sie sich doch nur mal den Dorfanger an, die Eisenbahn fährt mitten durch den Dorfteich.« Bezugsperson ist der Bürgermeister nicht, viel eher schon der Pfarrer der Gemeinde. »Das ist einer, der macht's richtig«, vertraut die Bäckerin dem Reporter an, »der mischt sich auch in die Politik ein, wenn die wieder Mist bauen.«

Pfarrer Kutschbach, der nun schon seit zehn Jahren die Gemeinden Schönefeld und Groß-Ziethen betreut, kennt die Ängste der Bürger nur zu genau. Auch er ist skeptisch gegenüber den etablierten Parteien: »Ich würde mir manchmal mehr Opposition wünschen.« Auf seine Initiative geht denn auch die Gründung einer eigenen Partei der Evangelischen Kirchengemeinde Schönefeld zurück, die immerhin zehn Prozent aller Stimmen hält und im Gemeinderat vertreten ist. Auch Pfarrer Kutschbach hat im Prinzip nichts gegen die Pläne zur »Neuen Stadt« einzuwenden. Was ihn besorgt, sind die Gerüchte um den Abriß des alten Dorfkernes südlich der Bahnlinie. »Auch ich bin schon gefragt worden, ob ich hier weggehen würde. Natürlich finde ich, daß die Kirche dort sein sollte, wo die Menschen sind.« Gemeint ist damit der neue Ortskern von Schönefeld, der laut Flächennutzungsplan rund einen Kilometer weiter östlich entstehen soll. Aber hier bleibt der Pfarrer stur: »Ich werde keinen Schritt aus meinem Haus tun, bevor das neue Gemeindezentrum und die neue Kirche stehen.« Der Abriß der Kirche, die, obwohl ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammend, nicht unter Denkmalschutz steht, tue ihm zwar leid, doch sei der Dorfkern ohnehin durch die Eisenbahn zerstört. Auch könne die Kirche die zusätzlich zu erwartenden Gläubigen nicht aufnehmen, das Pfarrhaus stehe sowieso nur noch aus Zufall dort. »Wissen Sie, seit nunmehr zehn Jahren soll es, jedes Jahr auf's neue, abgerissen werden. Ich habe mich ja nicht getraut, irgendwelche Arbeit da hineinzustecken.« Auch hier wieder hört man den Unterton von einem heraus, der Planungen von oben nicht mehr traut.

Viele Hoffnungen stecken in dieser »Neuen Stadt Schönefeld«. Hoffnungen auf Arbeit, auf wirtschaftlichen Aufschwung, auf das Erwachen aus der Bedeutungslosigkeit. Klaus Laminet schätzt, die Erschließung des »European Operation Center« 1994 beginnen zu können, »Entwicklungszeit fünf bis zehn Jahre«. Wann die übrige Bebauung beginnen kann, ist noch nicht abzusehen, für die Finanzierung und Erschließung möchte Bürgermeister Huhndorf »alle möglichen Töpfe abklappern«.

Wenig Erfahrungen mit Investoren

Darauf angesprochen, ob er denn nicht wenigstens einen Handel mit den Investoren ausgemacht habe, sich zum Beispiel im Gegenzug die alten Häuser renovieren oder ein neues Rathaus bauen zu lassen, reagiert Huhndorf spürbar verunsichert. Man habe ja bisher keinerlei Erfahrungen mit Planungen dieser Größenordnung gehabt, doch: »Wie man in solche Verhandlungen reingeht, lernen wir täglich neu.«

Rundum zufrieden mit den Verhandlungen zeigt sich Laminet als Investor. Auf die Frage, wieviel denn im Durchschnitt für das bereits angekaufte Gelände bezahlt worden sei, reagiert er mit einem humorvollen Grinsen. »Alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, ist folgendes: Die Quadratmeterpreise waren unterschiedlich, manche waren teurer, manche weniger.« Und klappt mit entschlossener Geste seine Mappe mit den Unterlagen zu. Mirko Heinemann