piwik no script img

Churchill wollte Zwangssterilisationen

Der ehemalige britische Premierminister fand jedoch keine Unterstützung bei Kollegen  ■ Von Ralf Sotscheck

Der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill wollte mehr als 100.000 „geistig degenerierte“ BritInnen zwangssterilisieren lassen. Das geht aus Regierungspapieren hervor, die aufgrund ihres Inhalts für hundert Jahre unter Verschluß gehalten werden sollten, vor kurzem jedoch freigegeben wurden. Clive Ponting, der zur Zeit an einer Churchill-Biographie arbeitet und 1985 unter Sondergesetzen angeklagt wurde, weil er Geheimdokumente über die Versenkung der Belgrano während des Malwinen- Kriegs veröffentlicht hatte, berichtete im 'Guardian‘, Churchill sei von der Idee der „Rassenhygiene“ bereits besessen gewesen, bevor er im Jahr 1900 als 26jähriger ins Parlament einzog. Ein Jahr zuvor hatte er an seinen Cousin Ivor Guest geschrieben: „Mein politisches Lebensziel ist die Verbesserung der britischen Rasse.“

Churchills Denken wurde im späten 19. Jahrhundert geprägt, sagt Ponting: „Viele seiner Überzeugungen — sein Glaube an die Überlegenheit der weißen Rasse, an die Weltmission des britischen Imperiums und an die Wirksamkeit öffentlicher Hinrichtungen — bildeten sich in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts heraus.“ Später wurde Churchill von der „Königlichen Kommission für die Betreuung und Kontrolle von Schwachsinnigen“ beeinflußt, die 1904 von der konservativen Balfour-Regierung eingesetzt worden war und ihre Vorschläge 1908 der liberalen Regierung unterbreitete, der auch Churchill angehörte.

Diese Kommission plädierte für eine drastische Erweiterung der „Irrengesetze“, die auch „geistesschwache Personen“ erfassen sollte. Darunter verstand die Kommission alle, die nicht ihrem Normalitätsmaßstab entsprachen: ungebildete, weniger intelligente und sozial unangepaßte Menschen. Diese Personen — nach Schätzungen der Kommission betrug ihre Zahl mindestens 105.000 in England und Wales — sah Churchill als „Gefahr für die Zukunft der Nation“, die deshalb an der Fortpflanzung gehindert werden müßten. Um seine Theorie zu untermauern, verteilte Churchill, der 1910 Innenminister geworden war, eine Vorlesung des Beraters der Kommission, Alfred Tredgold, an seine Kabinettskollegen. Darin hieß es, daß Geistesschwäche mit Migräne und Epilepsie beginnt und im Wahnsinn endet. Die betroffenen Personen bildeten die „Klasse der Kriminellen, Verarmten, Arbeitsunfähigen und Prostituierten“, die sich doppelt so schnell wie der Durchschnitt vermehre. In der Natur würden Minderwertige eliminiert, der moderne Staat erhalte sie jedoch am Leben. Dieser Trend müsse „unausweichlich in der nationalen Zerstörung enden“.

Während die Kommission diese Menschen einsperren wollte, um sie an der Fortpflanzung zu hindern, ging Churchill noch weiter und setzte sich für ihre Zwangssterilisation ein. Darüber hinaus richtete Churchill Arbeitsämter ein, die jedoch nichts mit Sozialreform zu tun hatten: Mit ihrer Hilfe „können faule Vagabunden zweifelsfrei identifiziert und in eine Institution zur disziplinarischen Verwahrung gesteckt werden“, schrieb Churchill ans Kabinett. Die Zahl der Menschen, die in solche Arbeitslager gehörten, schätzte er auf 20.000. Er vertrat seine rassistischen Ideen jedoch nie öffentlich und mußte sie schließlich begraben, weil er unter seinen Kollegen nur wenig Unterstützung fand.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen