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Zeichen großer seelischer Not

■ betr.: "Leute, die zum Psychiater gehören", Barry Graves' "Memo" zur Zusammenlegung der Jugendwellen von SFB und ORB, taz vom 17.6.92

Betr.: »Leute, die zum Psychiater gehören«, Barry Graves' »Memo« zur Zusammenlegung der Jugendwellen von SFB und ORB, taz vom 17.6.92

Obwohl ich Barry Graves nicht unbedingt für den begnadetsten unter den Berliner Radiomoderatoren halte, wäre es mir doch bis heute nicht eingefallen, grundsätzlich an seiner professionellen Qualifikation zu zweifel und den Verdacht zu entwickeln, er könne womöglich »nicht sach-, sondern neurosenorientiert« sein; Graves' »Memo« gibt jedoch allen Anlaß zu der Befürchtung, daß sich die Vereinigung und ihre Folgen auf das psychische Befinden einiger SFB-Mitarbeiter weitaus verheerender ausgewirkt haben als auf das der Ostdeutschen. Die geballten Ressentiments und Komplexe, die aus jedem Satz seines Schreibens sprechen, zeugen von größter seelischer Not. Vielleicht sollten unter den in dem »Memo« erwähnten vier Millionen BerlinerInnen zukünft wenigstens ein paar Dutzend mehr SFB hören, um Graves zu helfen, ein gesünderes Selbstbewußtsein und damit auch eine gewisse Sachlichkeit zu entwickeln.

Graves Einstellung zur Zusammenlegung der Jugendwellen von SFB und ORB bleibt ihm unbenommen. Und sofern es zum Handwerkszeug des Rundfunkjournalisten gehört, neben dem Wortanteil in den Programmen auch den Sachanteil in den Wortbeiträgen zu minimieren, hat er sich mit seinem »Memo« tatsächlich als Profi erwiesen. Wenn aber zur Professionalität die Fähigkeit gehört, in Auseinandersetzungen — intern oder öffentlich — zu argumentieren anstatt bloß zu furzen, dann ist dieses Schreiben Zeugnis eines mitleiderregenden Dilettantismus. Anselm Bühling, Berlin 12

Wenn das Kriterium, auf das es Graves ankommt, eine »möglichst breite Zuhörerschicht« ist, dann habe ich entweder den Bedeutungsinhalt von »breit« mißverstanden, oder Graves meint damit tatsächlich die Quantität. Oh Scheiße, dann verlange ich einen Eliten-Funk, denn die Musik von DT64 und sogar von Rockradio B ist noch immer sehr viel abwechslungsreicher als die des SFB und ähnlicher Dudelfunksender. A.Khammas, Ex-Arab.-Redaktion bei Radio 100

Wir Hörer, die ja die eigentlichen Programmempfänger sind, haben bereits einige Leute von der »anderen Seite« kennenlernen können. Was wir aus Zeitungen und Rundfunksendungen westlicher Art erfahren können, ist allerdings alarmierend trivial. Zum Glück scheint es sich bei den Leuten von Rockradio B nicht um Radiomacher zu handeln, die mit höchstem Professionalitätswillen eine möglichst hohe Einschaltquote erreichen wollen. Wir haben es hier offenbar mit Journalisten zu tun, die ihre Berufsbezeichnung noch verdienen. Das SFB-Team hätte wirklich besser zu RTL und Energy gepaßt.

Nichts, was bei Rockradio B zu hören ist, macht deutlich, daß sich die Leute der Medienwirklichkeit unserer Tage anpassen wollen. Alle ihre Sendungen zielen in schamlos unprofessioneller Weise darauf hin, noch bestehende Konflikte zwischen Ost und West aufzudecken. Da es für Medien westlicher Art nur den wilden Osten gibt, die übrige (Westberliner) Welt aber ansonsten heil und schön und die Frontstadt nun Hauptfrontstadt war, ist und immer so bleiben wird (Posemuckel grüßt West-Berlin), leitet sich schon daraus die Existenzberechtigung von Rockradio B (und mehr noch von DT64) ab.

Es ist völlig undiskutabel, die Geschäftsleitung und Redaktion der neuen gemeinsamen Welle paritätisch zu besetzen. Brandenburg und Ost-Berlin haben gut vier Millionen EinwohnerInnen, die Frontstadt etwas mehr als die Hälfte.

Das schärfste aber ist der Anspruch des SFB, eine neue Dudelwelle im Zentrum der Frontstadt anzusiedeln. Und wer die Nalepastraße oder Potsdam für den Arsch der Welt hält, dem muß man jegliche Geographie- (für Westler: Erdkunde) Kenntnisse absprechen. Auch von Kultur dürfte ein solcher Mensch nicht allzuviel Ahnung haben. [...] Ich habe, ehrlich gesagt, die Schnauze voll von Leuten, die glauben, daß sie ein Bundestagsbeschluß schon zu Hauptstädtern macht, und für die es Leute, die bereits ihr Leben lang Hauptstädter sind, in Berlin nicht zu geben scheint. Allerdings, wenn man Bonn zum Maß für wahres Hauptstadtleben macht, dam muß wohl der Ostler doch umdenken...

[...] Die Leute von Rockradio B bedrohen selbstverständlich Arbeitsplätze der Leute von Radio 4 U, denn eine solche Welle, wie sie denen vorschwebt, braucht nicht allein hübsche Stimmchen, sondern möglicherweise auch intelligente Leute. Allerdings wird sie wohl auch nur von intelligenten Menschen gehört werden, und die werden rar, nicht zuletzt auch wegen der westlichen Art von Journalismus (dies geht ausnahmsweise nicht gegen die taz). [...] Es bleibt zu hoffen, daß aus RRB und R4U eine Welle wird, die es sonst nirgends in Deutschland gibt, denn nur Einzigartigkeit macht die Hauptstadt zu einer solchen, mit oder ohne Regierung! Uwe Doetzkies, 1144 Berlin

Man braucht diese primitive Meinungsäußerung wohl nicht zu kommentieren, aber es ist einfach gelogen, daß 90 Prozent der Kids im Osten Westsender hören wollen. Wenn Herr Graves einen Dudelfunk machen möchte, dann soll er doch zu RTL oder Energy wechseln. Ich hoffe, daß das neue Jugendradio von ORB und SFB nicht auf das Niveau von Radio 4U absinkt. Leider wird eine Hoffnung der Jugend in Berlin und Brandenburg am 1.7.1992 durch die Abschaltung von DT64 (dann nur noch auf Mittelwelle zu empfangen!) zerstört. Nur weiter so. Jörg Wilke, 1100 Berlin

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