: Grüne Energiepolitik auf den Kopf gestellt
Auf dem Kongreß „Verheizte Zukunft“ in Leipzig haben sich Bündnis 90 und Grüne nicht über die Zukunft der Braunkohlestandorte einigen können/ Brandenburgs Umweltminister Platzeck setzt auf weiteren Braunkohleabbau in der Lausitz ■ Aus Leipzig Hartwig Berger
Bis auf wenige Kilometer vor Leipzig haben sich die Braunkohlebagger herangefressen. Fruchtbarer Lößboden, 60 Dörfer und die schönsten Ausflugsziele der Großstädter sind auf Halde gelegt, die einst fischreichen Flüsse Elster und Pleiße in braune Abwasserkanäle verwandelt. Oft blasen sich hier Winde zu Sandstürmen auf und überziehen die verbliebenen Dörfer an den Grubenrändern mit einer dicken Dreck- und Staubschicht.
In diese Gegend hatte es am vergangenen Wochenende das Bündnis 90 und Grüne verschlagen, die sich in Leipzig zum Energiekongreß „Verheizte Zukunft“ trafen. Die Wunden des Tagebaus machten das Motto sinnlich faßbar. Die entscheidende Energiequelle der ehemaligen DDR war die Braunkohle. Südlich von Leipzig hatten auch die meisten Anwohner mit ihr zu tun. Jetzt treiben viele in die Arbeitslosigkeit, weil das Schicksal der Braunkohletagebaue und Industriestandorte ungeklärt ist.
„Tagebau muß gebremst fortgesetzt werden“
Albert Steinbach hat diese Erfahrung vom Saulus zum Paulus gewandelt. Zu DDR-Zeiten war er Pfarrer in einem von der Braunkohle verdreckten Ort und Kopf der sächsischen Umweltbewegung; er gründete die Aktion „eine Mark für Espenhain“, die für eine Entschwefelung der schlimmsten Dreckschleudern in der Leipziger Region sammelte. Jetzt ist er Regierungspräsident des Bezirks Leipzig.
Auf einer Podiumsdiskussion im Kohledorf Störmthal erklärt Steinbach, wie er die Industriestruktur im Südraum Leipzig retten will. Der Tagebau müsse gebremst weit über das Jahr 2000 fortgesetzt werden, um zwei 800-Megawatt-Kraftwerke bauen und betreiben zu können. Er verspricht sich davon Multiplikatoreffekte und hofft, daß diese Kraftwerke und ihre Stromangebote Investoren auf die verbrannte Erde Espenhains locken.
Steinbachs Kalkulation erinnert an den berühmten Schwank von Annette mit dem vollen Milchkrug. Auf dem Weg zum Markt malt sie sich die Umsetzung des Erlöses aus — bis hin zur Kuh, die täglich neue Milch gibt. Und so erntet der Regierungspräsident in Störmthal viel Widerspruch. „Wenn Ihre Investoren hier Gruben und Bagger sehen, verschwinden sie postwendend“, erklärt der Bürgermeister des bedrohten Ortes Zwenkau. Wie andere will auch er die Reste seiner Heimat erhalten und verlangt eine schnelle Rekultivierung der Gruben. Für 1.500 Arbeitsplätze dürfe man das Land nicht endgültig verheizen.
Die Braunkohle war nur ein Thema auf dem Energiekongreß, wenn auch das heißeste. Hier geht ein tiefer Riß durch Bündnis 90 und Grüne. Um das totale Verschwinden der Industrie in Braunkohlegebieten zu stoppen, wollen das Bündnis 90 Brandenburg und Bündnis 90/Grüne Sachsen den Abbau nach der Jahrtausendwende mit rund 25 Prozent der alten Leistung fortsetzen. Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck verteidigte diese Pläne für die nördliche Lausitz. Jährlich 60 Millionen Tonnen sollen dort bis zum Jahr 2015 abgebaggert werden, um mehrere Kraftwerke vor Ort zu bedienen. Platzeck hofft, dadurch auch andere Industriezweige an Braunkohlestandorte zu locken. Außerdem denkt er an Stromexporte nach Osteuropa, um die schlimmen Verwüstungen im Bergbau Polens und Sibiriens nicht weiter zu fördern.
„Gestärkte Verantwortung vor Ort“
Die meisten KongreßteilnehmerInnen sahen in Platzecks Ausführungen eine pure Beschaffungspolitik, die eine grüne Energiepolitik auf den Kopf stellt. Warum ausgerechnet die CO2-intensive Braunkohle erhalten bleiben soll, die zudem den Grundwasserhaushalt des gesamten Spreeraums zerstört hat, leuchtete nicht ein. Es werden Anlagen zur Stromerzeugung geplant, statt auf der Nachfrageseite den Strombedarf gezielt zu verringern. Solchen Maßnahmen schaffen bekanntlich weit mehr Arbeitsplätze als die Großtechnologie des Stromkonzerns RWE.
Mit dem Thema „Stromexporte“ schnitt der Kongreß die europäische Dimension an. „Wir liefern euch Strom und Kraftwerkstechnik, ihr gebt uns Kohle, Öl und Erdgas“: So schlägt, vereinfacht, die Europäische Gemeinschaft (EG) ihre Energiecharta den Ländern der GUS und Polen vor. Den nächsten Schritt dazu planen die sieben reichsten Industrienationen (G-7) auf dem Weltwirtschaftsgipfel Anfang Juli in München, wo 1,1 Milliarden Dollar zur Nachrüstung hochriskanter Atomkraftwerke in Rußland, der Ukraine, Litauen und Bulgarien lockergemacht werden sollen. Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete der Grünen, forderte dagegen noch einmal, daß die EG ein schnelles Abschalten der 32 gefährlichsten AKWs im Osten vorantreiben solle und dazu umfassende Finanzhilfen bieten müsse, die für Ersatzanlagen und für Energiespartechnik nötig sind.
In Leipzig wurde auch darüber debattiert, wie die Kommunen eine Energiewende von unten umsetzen können. Gerade in den ostdeutschen Kommunen hat sich eine Energiewende-Bewegung entwickelt, die auf die Gründung von Stadtwerken setzt.
Die Stadt Leipzig setzt hier ein ermutigendes Zeichen. Sie hat sich eine 60-Prozent-Mehrheit in den Stadtwerken gesichert und Eckpunkte wie die Abwärmenutzung, den Vorrang der Fernwärme und lineare Tarife vertraglich festgesetzt. Die Regelung des umstrittenen Stromvertrags, der die Kommunen auf Abnahme von 70 Prozent des Stroms aus dem Verbundnetz festlegt, ist in Leipzig von der RWE zurückgenommen worden. Ungelöst bleibt allerdings die Altlastenfrage: 90 Prozent aller Bodenverseuchungen in Leipzig befinden sich auf Kraftwerksgelände. Die Stadt kann die Sanierungskosten nicht aufbringen und droht wieder in Abhängigkeiten zu geraten.
In einer Schlußresolution unterstützte der Kongreß das Klimabündnis europäischer Städte, in dem sich 150 Kommunen zur Halbierung ihrer CO2-Emissionen bis zum Jahr 2010 verpflichtet haben. Gegen Staatsversagen und Energiekonzerne wurde auf die Aktivität von unten gesetzt.
„Dezentrale Energieversorgung“ war das Zauberwort. Es ging dabei nicht nur um „so geringen Energieeinsatz wie möglich“, sondern auch um „gestärkte Verantwortung vor Ort“. Mit kommunalen Handlungsspielräumen Demokratie zu gestalten, ist ein Ziel, das die Energiepolitik der Grünen und desBündnis 90 eint — über die Gräben der Braunkohle hinweg.
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