■ ARTUR, BERLINOID: Kompensation can be fun
Einen kennt Artur, der hat ein launiges Steckenpferd. Der sammelt Büroklammern, auch Briefklammern genannt. Bei Lichte betrachtet nicht nur Büroklammern, sondern Klammern in allen Formen, Materialien, Farben und Größen. Das ist, sagte Artur, sicher eine umfangreiche, doch überschaubare und zutiefst befriedigende Aufgabe, der Sie sich da widmen, nicht wahr?
Um des Himmels willen!, entgegnete der Sammler. Was weiß denn ich, wo auf der Welt es noch Formen gibt, die ich noch gar nicht kenne? Vielleicht, im tiefsten Inneren tut er das. Artur meint, psychologisch betrachtet eventuell, um dann doch die Hand ein wenig zu beißen, die ihn nährt. Bewegt von so viel dynamischer Lebensfreude stellte sich Artur vor die Gipswand im Arbeitszimmer des Wissenschaftlers. Zugegeben, er rang ein wenig um Fassung, aber beeindruckt: An Gipswänden kann man leicht Stecknadeln praktizieren, und genau das hatte der Mann getan. Er hatte Dutzende von DINA4-Blättern an die Wand gepinnt, jeweils ein Klammermodell mit transparentem Klebeband darauf befestigt und in immer wiederkehrender straffer Gliederung handschriftlich Funddatum, -ort, Material der Klammer, den vermutlichen Verwendungszweck und darüberhinaus eine, wiewohl leicht spekulative, wissenschaftliche Expertise, welchen Stellenwert das jeweilige gute Stück in der Gesamtfamilie wohl einnähme, in gestochener Handschrift notiert. In der Mitte der Wand hängt die Urmutter aller Klammern, ein mindestens sechzig Zentimeter großes Monstrum aus rotem Draht, sozusagen die Büroklammer als solche.
Die alten hölzernen Wäscheklammern, die ohne Feder, nur so mit einer Kerbe in der Mitte, die hat er auch berücksichtigt, ebenso die neumodischen Modelle zum Umlegen, wie kleine Druckknöpfe.
Die lateinischen Namen wiederzugeben ist für Artur so ganz einfach nicht, er hat schon Schwierigkeiten, sagt er, ohne Stottern »Anamnese« auszusprechen, aber der Zeitgenosse besteht darauf, jedes seiner Sammlerstücke habe eine Anamnese, und die lohne auch, evaluiert zu werden.
Na, hat Artur ihm geantwortet, wenn's dem Gesamtwerk dienlich ist, evaluieren Sie mal schön, und er hat ihm einen kleinen Holzstempel geschenkt, mit dem kann man Büroklammern auf's Papier stempeln. Dieses Objekt nun schlüge etwas aus der Art, sei sowas wie vergegenständlichte Absurdität, meint Arturs Bekannter.
Zu Mariä Himmelfahrt will Artur ihm zwo unterschiedliche Modelle von Hosenklammern für Radfahrer besorgen, die Rundklammer und die alte Kneifklammer, vielleicht nutzt es ja was.
Des Mannes unmündige Kinder haben Artur berichtet, auch sie sammelten, und zwar Streichholzschachteln mit Werbeaufdrucken, die müßten aber noch voll sein, die Schachteln. Artur bringt ihnen gern mal wieder so Reklamezündhölzchen mit, es gibt da sehr elegante Modelle.
Seine Bedenken wegen dieser nicht ganz ungefährlichen Sammelleidenschaft hat Artur seinem Bekannten gegenüber ausgesprochen, er fürchtet, die Kinder wissen ganz genau, was sie eines Tages mit all den Schwefelhölzchen anfangen werden. Clemens Walter
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