: Milosević gefährdet „Wohl der Nation“
■ Anläßlich einer Demonstration in Belgrad forderten Patriarch Pavle und Thronprätendent Karadjordjević den Sturz des Regimes und warnten vor Bürgerkrieg in Serbien
Rund 80.000 Demonstranten versammelten sich am Sonntag nachmittag im Zentrum Belgrads, um den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosević zu verlangen. Die Organisatoren, die Demokratische Bewegung Serbiens (DEPOS), in der zahlreiche Oppositionsparteien zusammengeschlossen sind, rechneten im Laufe der Kundgebung mit mehreren hunderttausend Demonstranten. Patriarch Pavle der Serbisch-Orthodoxen Kirche wurde von der Menge begeistert begrüßt. Pavle warnte vor einem Bürgerkrieg in Serbien. Es dürfe kein „serbisches Blut durch Serben vergossen“ werden.
Auch der Sohn des letzten jugoslawischen Königs, Prinz Aleksandar Karadjordjević, der bereits in der Nacht zum Sonntag mit den seit zwei Wochen streikenden Belgrader Studenten diskutiert hatte, sollte zu den Demonstranten sprechen. Der Thronprätendent hatte am Vorabend in der Universität versichert, „radikale Veränderungen der politischen Strukturen in Serbien“ seien unausweichlich. „Das ist keine unmögliche Aufgabe, das Wohl der Nation hängt davon ab“, fügte der Prinz hinzu. Er ging jedoch nicht näher auf die Vorschläge westlicher Politiker zu einer Intervention in Bosnien- Herzegowina ein.
Unter den Teilnehmern der Demonstration waren Priester in Soutanen, Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaft Nezavisnost, viele Frauen und die StudentInnen. Die Demonstranten schwenkten die rot- blau-weiße serbische Fahne mit dem doppelköpfigen Adler und Transparente, auf denen der Rücktritt Milosevićs gefordert wurde, der für die internationale Isolation Serbiens verantwortlich gemacht wird. Zahlreiche Porträts von Karadjordjević wurden geschwenkt. Auch Fotos des Oppositionspolitikers Vuk Drasković, dem Chef der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), wurden hoch gehalten.
Rund um den Wohnsitz Milosevićs im Stadtteil Dedinje wurde ein massives Sicherheitsaufgebot zusammengezogen. Polizisten mit Helmen und Maschinenpistolen gingen in den umliegenden Straßen in Stellung. Auch Panzereinheiten der Armee in Belgrad sollen erheblich verstärkt worden sein. Am 9. März 1991 war in der serbischen Hauptstadt erstmals eine Massendemonstration gegen Präsident Milosević organisiert worden. Dabei kam es zu einem Polizeieinsatz, in dessen Verlauf ein Demonstrant und ein Polizist getötet wurden. Diesmal wollen die Demonstranten bis zum Sturz des Regimes weitermachen. er
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