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Gouvernantenhorror

■ „Die Hand an der Wiege“ von Curtis Hanson

Das waren noch Zeiten, als Hollywoods Gouvernanten sich mit singenden Schornsteinfegern herumtrieben, den Kindern schwierige Wörter beibrachten und, ganz Dame, mit spitzen Fingern Tee schlürften. Doch Mary Poppins ist längst tot. Mit netten Menschen auf der Leinwand ist heute keine müde Mark mehr zu verdienen. Wir leben in den 90ern — dem Zeitalter der Angst. Folgerichtig gehört nicht der unschuldige Babysitter ins Kinderzimmer, sondern ein Dämon.

Die Amerikaner haben schon immer das Hohelied der Familie besonders laut gesungen, und heutzutage, wo man in Lebensmitteln mehr Gift als Nährstoffe findet, wo Flora und Fauna allmählich den Bach runtergehen und wo man sich in einer einzigen Liebesnacht den Tod holen kann, erscheint ihnen die Familie wieder als Wagenburg. Doch es ist alles ein bißchen komplizierter als in früheren Zeiten. Männer und Frauen sind meist beide berufstätig und möchten es auch bleiben, wenn sie Kinder haben. Also wird ein Kindermädchen engagiert und ein Schuldgefühl geboren. Denn man überläßt einer Fremden die Erziehung der eigenen Brut. Dieses Schuldgefühl schlachtet der Psycho-Thriller Die Hand an der Wiege (nach dem Sprichwort „Die Hand an der Wiege ist die Hand, die die Welt regiert“) gnadenlos aus.

Um ein abgrundtief böses Kindermädchen zu installieren, wird zunächst eine haarsträubende Geschichte konstruiert: Claire Bartel (Annabella Sciorra) ist wieder schwanger. Ihr Mann Michael (Matt McCoy) und ihre kleine Tochter Emma freuen sich auf den Familienzuwachs. Heile Welt. Bei einer Untersuchung wird Claire von ihrem Gynäkologen mißbraucht. Sie zeigt den Arzt an. Der fiese Doktor Mott begeht Selbstmord. Seine, ebenfalls schwangere, Frau Peyton (Rebecca De Mornay) verliert Besitz, Wohlstand und das Haus. Sie erleidet eine Fehlgeburt und erfährt auch noch, daß sie nie wieder Kinder bekommen kann. Peyton will Rache. Sie schleicht sich unter falschem Namen als Kindermädchen bei den Bartels ein und beginnt die intakte Familie von innen her zu zerstören.

Curt Hansons wohl kalkulierte Mär vom teuflischen Babysitter, nach einem Drehbuch von Amanda Silver, wurde in den USA der Kino- Hit der Saison. Dabei ist Die Hand an der Wiege ein äußerst simpel gestrickter Thriller. Suspense, überraschende Wendungen, gibt es nicht. Alles ist vorhersehbar, geschockt wird nicht, und selbstverständlich gibt's ein Happy-End. Die Leistungen der Schauspieler sind mit mäßig noch wohlwollend beschrieben, und das echte Grauen steckt in den Dialogen. Auch bei der Rollenverteilung bleibt der Film im Klischee stecken: Papa ist cool und überlegen, Mama herzensgut und ein bißchen blauäugig. Kurzum: Ein Film für alle naiven Mütter und solche, die es werden wollen. Karl Wegmann

Curt Hanson: Die Hand an der Wiege. Mit Rebecca De Mornay, Annabella Sciorra, Matt McCoy u.a. USA 1992, 100Min.

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