: Demo um ein Gerücht
■ Protest gegen angebliche Gewalttat von Rechts
Neukölln. Demo um ein Gerücht: Rund 300 Leute demonstrierten gestern gegen 17 Uhr vor dem Rathaus Neukölln gegen Gewalt von Rechts, weil am Tag zuvor angeblich eine Ausländerin nach einer Demonstration der »Republikaner« in der U-Bahn-Station Rathaus Neukölln vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen und schwer verletzt worden war.
Das Ganze begann damit, daß am Mittwoch abend in Szene-Kneipen die Nachricht kursierte, eine ausländische Frau sei am Mittag im U-Bahnhof Neukölln vor die U-Bahn geworfen worden. Vorher habe vor dem Rathaus Neukölln aus Anlaß der Wahl des »republikanischen« Stadtrates eine Kundgebung von Rechtsradikalen stattgefunden. Diese Gruppe sei dann in die U-Bahn gestiegen und habe die Frau auf die Gleise geworfen. Dem Bericht lag angeblich die Beobachtung einer Augenzeugin zugrunde, die aber nicht mehr aufzufinden gewesen sei. Prompt wurde noch am Mittwoch zur »antifaschistischen Demo« aufgerufen.
Die Nachforschungen der taz indessen verzerrten das Bild des »faschistischen Anschlages«. Die Pressestelle der Polizei zeigte sich nicht informiert, ebensowenig die Feuerwehr. Auskunft erteilte dann die Pressestelle der BVG. Danach handelte es sich bei dem »Anschlag« um einen Unfall. Gegen 13 Uhr sei ein 40jähriger Mann deutscher Staatsangehörigkeit auf der U-Bahn-Treppe im U-Bahnhof Rathaus Neukölln ins Stolpern gekommen und sei gegen den in Richtung Spandau einfahrenden Zug geprallt, der ihn mit lebensgefährlichen Verletzungen auf den Bahnsteig zurückschleuderte. Der Mann sei im Urban-Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Abgesehen von dem Sturz auf der Treppe, die im U-Bahnhof Rathaus Neukölln viel zu weit von dem Einstiegsbereich entfernt ist, als daß ein Mensch bis zu den Gleisen stolpern könnte, eine ziemlich glaubhafte Geschichte.
Nachdem die Polizei mit diesen Informationen konfrontiert wurde, bestätigte sie die Angaben, betonte aber die deutsche Staatsangehörigkeit des Opfers.
Die Kundgebung um 17 Uhr vor dem Rathaus Neukölln wurde trotzdem nicht abgesagt. Vor Ort aber wurde die nicht angemeldete Demonstration spontan in eine Kundgebung gegen die »Republikaner« umgewidmet. Mirko Heinemann
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