Millionenschwindel mit der Bürgerschaft

■ Parlament hat sich bei EDV-Anschaffung völlig an eine Firma ausgeliefert: 3,4 Millionen statt 600.000 Mark

Die Bremer Bürgerschaft ist auf dem besten Weg, auf einen Millionenschwindel hereinzufallen. Gleich nach Ende der Sommerpause will sie sich bei der Hanseatischen Software-Entwicklungs- und Consulting GmbH (HEC) für 3,4 Millionen Mark ein „Kommunikations- und Informationssystem für Abgeordnete“ bestellen, das bestenfalls 600.000 Mark wert ist.

Mißtrauen konnte jedoch weder in der Bürgerschaftsdirektion noch in der parlamentarischen Arbeitsgruppe aufkommen, die letztlich über die EDV-Einführung entscheiden muß. Schließlich hatte man sich bereits vor Monaten völlig an die HEC, an der das Land Bremen und Siemens zu je 40 Prozent beteiligt sind, ausgeliefert.

Die HEC hat nicht nur in einer 120.000 Mark teuren Vorstudie den Bedarf von 3,4 Millionen Mark für das EDV-System in der Bürgerschaft ermittelt, sie hat auch selbst den Text der Ausschreibung formuliert. Die Parlamentsverwaltung hat ihn nur noch unterschrieben.

Kein Wunder, daß die HEC jetzt nach Ablauf der Ausschreibungsfrist der einzige Anbieter ist. Aber auch wenn es noch einen Konkurrenten gegeben hätte, wäre wohl kaum ein Weg an der HEC vorbei gegangen: Sie war es nämlich, die die Fachabteilung der Bürgerschaft über den Markt und Kriterien im Bereich der EDV-Informationssysteme instruiert hat.

„Wir bilden unsere Auftraggeber aus“, lautet die vornehme Umschreibung dieser Abhängigkeit in den Worten des HEC-Geschäftsführers Gerhard Rutkowski. Schließlich sei der EDV- Markt für den Nicht-Experten ja völlig undurchschaubar, „da muß man die Fragen richtig stellen. Dafür braucht die Bürgerschaft unseren Rat.“

Auch Bürgerschaftsdirektor Rolf Lindhorn sieht kein Problem in der Doppelrolle der HEC als EDV-Berater und —Anbieter: „Mit 3,4 Millionen Mark sind wir von allen bundesdeutschen Parlamenten doch trotzdem am bescheidensten bei der Computerisierung. Nordrhein-Westfalen gibt für sein System 30 Millionen Mark im Jahr aus.“

Lindhorn vergleicht dabei allerdings Äpfel mit Birnen. Während in Nordrhein-Westfalen alle über das ganze Land verteilten Abgeordneten-Büros einen direkten On-line-Zugriff auf die Parlamentsdaten haben, sollen in Bremen zunächst nur die Protokolle der Plenumsdebatten gespeichert und von 30 Arbeitsplätzen in der Bürgerschaft aus nach Stichworten durchsucht werden können.

Die Lizenz eines professionellen Programms für diesen Zweck ist im normalen Handel für 50.000 Mark zu haben. 255 vernetzte Personalcomputer könnten daran angeschlossen und zwei Milliarden einzelne Dokumente abgespeichert werden — eine gigantische Kapazität angesichts der rund 2.000 Seiten Bremer Bürgerschaftsprotokolle im Jahr.

Entwicklungskosten für Software, für die die HEC allein über 1,5 Millionen Mark kassieren will, entstünden überhaupt nicht. Lediglich einige Anpassungen des Programms an die konkreten Bedürfnisse der Bürgerschaft wären nötig — und mit 100.000 Mark gut bezahlt. Auch die 28.000 Mark, die die HEC pro PC-Arbeitsplatz kalkuliert hat, sind nach aktuellen Marktpreisen weit überhöht. Für 600.000 Mark — statt 3,4 Millionen — würde die EDV-Firma der Berliner taz- Zentrale, die mit dem elektronischen taz-Archiv umfangreiche Erfahrungen mit einem ähnlichen Programm gesammelt hat, das komplette System gerne anbieten — und trotzdem noch ein gutes Geschäft dabei machen. Dirk Asendorpf