: Einst Symbol des Willens zu überleben
■ Ohne die Industrie, mit Sponsor und Bundesbahn: Der subkulturelle Erfolg der „House Nation“ wird sichtbar
Zwei Nächte vertanzten die TeilnehmerInnen der „Love Parade“ auf dem stillgelegten NVA- Flugplatz in Berlin-Johannisthal. Mit der „Hot Love Party“, wie die beiden Abende verheißungsvoll genannt wurden, dokumentierte die Gemeinde der „houselovers“ noch einmal ihre eigene Geschichte, bevor die „Worldwide House Nation“ sich in Separatistenbewegungen teilen wird. Um zusammenzuhalten, was vielleicht nicht mehr zusammenzuhalten ist, hatten die Organisatoren ein Programm mit Discjockeys ganz unterschiedlicher Richtungen erstellt. Und auch die Veranstalter selbst kommen aus verschiedenen Bereichen des Dancefloors. Während der Partydienst „Technostorm“ bislang eher Brachialbedürfnisse mit grobem Techno bediente, bereicherte die „space agency“ die Berliner Club-Szene vor gut vier Jahren um das Phänomen der House-Parties. 1989 leistete die „space agency“ bei der Geburt der Love Parade Hilfestellung — die Abschlußfeier des ersten „Worldwide Party People Day“ fand noch im verborgenen statt, im Kreuzberger Gerümpelkeller der Agentur.
Gerade genug Platz für die 200 House-Anhänger, die DJ Motte damals versammeln konnte. Zusammen mit einer Handvoll Freunden hatte er auf dem Kurfürstendamm eine Feier angemeldet, die unter dem Titel „Friede, Freude, Eierkuchen“ als Anti-Rassismus-Demonstration getarnt war. Wer wußte, welche Musik wirklich gespielt wurde, kam: Der Discjockey genießt den Ruf eines Spezialisten, seitdem er in einem kleinen Club die schrillen Töne des Acid-House, die damals von London auf den Kontinent kamen, einem Kreis von Insidern vorgestellt hatte. Mit der ersten Love Parade sollte dann das britische Partysystem, das die neue Tanzmusik erstmal auf den Urlaubsinseln im Mittelmeer populär gemacht hatte, öffentliche Anerkennung finden. Denn während in England durch zahlreiche Großrazzien das Gespenst einer ausufernden Drogenkultur beschworen wurde, galt in Berlin das Tanzvergnügen von nun an als Symbol des Überlebenswillens und der Phantasie gegenüber den düsteren Visionen der desillusionierten Punk- und Besetzerszene.
Schon ein Jahr später nutzten Sponsoren die Tragfähigkeit der Bewegung für Werbezwecke — West, Philipp Morris und Marlboro unterstützen seitdem die Veranstaltungen des Tanzsektors und verleihen ihnen eine weitaus größere Legitimität, als die Love Parade überhaupt beanspruchte. Nicht zuletzt mit Hilfe der Konzerne expandierte Mottes Familienbetrieb innerhalb von vier Jahren zu einem richtigen Unternehmen. Heute können an den Kartenstellen Tickets gekauft werden, mit denen nicht nur der Eintritt für die Parties und zwei Hotelübernachtungen bezahlt werden, sondern auch eine Fahrt mit dem eigens dafür eingerichteten „Love Train“ der Deutschen Bundesbahn. „Kommerzialisierung“ wurden solche Prozesse im Independent-Bereich genannt, und ein tadelnder Ton schwang in dieser Bezeichnung mit. Doch bis jetzt haben weder der Geldfluß noch die Akzeptanz bei einem Mainstream-Publikum die Produkte der DJs beeinflußt. Das Sponsorentum ist lediglich selbstverständlicher Teil des Tanzgeschehens geworden, und noch immer haben hier die Major- Label keinen wirklichen Einfluß. Auch als 1991 aus House und Flower-Power Techno wurde, huldigten die hiesigen Plattenkünstler nicht der Industrie, sondern nur dem Industrial Sound, mit dem sie den Anschluß an den deutschen Independent-Bereich wiederfanden — die Einstürzenden Neubauten wurden tanzbar gemacht.
Der allgewaltige Rhythmus der Techno-Produktionen lockte vor allem die zahlungsfähige Jugend ins Nachtleben und konfrontierte die Party-Gemeinde mit der Verwirklichung des Traums von einer tanzenden Nation. Wenn die Love Parade weiter für sich in Anspruch nehmen wollte, alljährlicher Höhepunkt des Club-Lebens zu sein, mußte sie also nicht nur die harten Bässe und, in Voraussicht aufs nächste Jahr, wieder neue, noch unbekannte Klangexperimente ins Programm nehmen, sondern auch versuchen, die Besucherzahlen zu übertrumpfen, die die Großveranstaltungen der Techno- DJs aufweisen konnten. 10.000 Gäste erwarteten die Veranstalter in diesem Jahr und richteten eigens ein Sleep-in ein — „We sleep together“, alles ist Liebe. Die Musik selbst mußte allen möglichen Vorlieben der unkalkulierbaren Massen entgegenkommen. So war der Freitagabend den Discjockeys aus den Techno- Zentren Frankfurt, Belgien und Berlin, die zweite Nacht dann dem Ambient- und Trance-Dance vorbehalten, den beiden gefühlvollen Varianten, mit denen Berliner Discjockeys im vergangenen Winter technomüde Clubber neu beleben wollten.
Die Liste der Auftritte wird von Jahr zu Jahr länger, und je länger sie wird, desto schneller verschwindet der Einzelne in dem gigantischen Betrieb. Der Verlust von Exklusivität hat zwar das Gefüge der Macher demokratisiert, dem Fußvolk bleibt lediglich die Freiheit, aus einem Konsumangebot auszuwählen. DJ Motte erschien am zweiten Abend nur noch als ein Programmpunkt unter vielen. Von der Intimität zwischen Discjockey und Tanzenden, wie sie auf der ersten Love Parade herrschte, war während des Johannisthaler Volksfestes nichts mehr zu merken. Claudia Wahjudi
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