: Nur am Wochenende herrscht Ruhe am Himmel
■ Unter der Woche wird im Unterallgäu in der Luft der Kriegsfall geprobt/ Nicht nur Luftkampfübungen, auch Kunstflugtraining gehört zum Programm der Piloten/ Verteidigungsminister Volker Rühe verwickelt sich beim Antrittsbesuch des Jagdbombergeschwaders in Widersprüche
Memmingerberg (taz) — Die Wochenenden, sagt die alte Frau, seien eine richtige Erholung. Da wird nämlich beim Jagdbomber- Geschwader 34 (JaboG34) in Memmingerberg im Unterallgäu meist nicht geflogen. Dann ist selbst diesem besonders eifrigen Jagdbomberverband Zwangsruhe verordnet. Aber unter der Woche ist von morgens bis weit in die Nacht hinein die Hölle los. Seit 33 Jahren muß sie mit dem Fluglärm leben, ein Umzug in eine ruhigere Region gestaltet sich als schwierig: „Wenn Sie ein Haus verkaufen wollen, dann müssen's das am Wochenende tun. Aber unter der Woche haben Sie keine Chance.“ Diesem Minister, der da nach Memmingerberg kommt, würde sie gerne mal die Meinung sagen. Sie wird dazu keine Gelegenheit bekommen, wenn Bundesverteidigungsminister Volker Rühe bei der Teilstreitkraft Luftwaffe macht. Ebensowenig wie die Fluglärm-Bürgerinitiative (FBI), die sich erst vor wenigen Monaten gegründet hat, „weil trotz geänderter Sicherheitslage genauso weitergeflogen wird wie zuvor“. BI-Vorsitzender Steffen Wiebe schimpft. „Manchmal kommt man sich vor wie im Krieg, da könnte man verzweifeln.“ Ganz zu schweigen von der längst nicht hinreichend bekannten Umweltbelastung. 4.900 Liter Kerosin pro Stunde verbrennt einer der rund 30 Tornados in Memmingerberg. Das macht bei 8.000 Flugstunden jährlich 39,2 Millionen Liter Kerosin.
In Memmingen wird für den Ernstfall geprobt. „Wir haben es nicht glauben wollen, aber es ist wahr; die üben über Memmingen den Luftkampf. Das Erschreckendste daran: es ist rechtens, und es wird wieder passieren.“ Über den Ortschaften jagen sich Kampfflugzeuge, ein Flugzeug versucht, das andere abzufangen. In einem Schreiben vom 21.5.92 hat das Luftwaffenamt in Köln der FBI bestätigt, daß es am 12. Mai Luftkampfübungen des Jagdgeschwaders 34 „Moelders“ aus Neuburg gegeben hat. „Vier Flugzeuge“, so der Sprecher des Luftwaffenamtes, „haben dort Abfangen geübt. Es war eine richtiggehende Luftkampfübung.“
Damit nicht genug. Für die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin übte ein Tornado des Jabo-Geschwaders 34 in der Nähe des Fliegerhorstes „Flugsituationen, wie wir sie hier noch nicht gesehen haben“, wettert Steffen Wiebe. Rolle links, Rolle rechts, Steigflug, Sturzflug. „Hier wird die Bevölkerung im Umkreis eines Fliegerhorstes, die sowieso schon extremen Lärm ertragen muß, zusätzlich noch mit Übungsflügen für eine Luftfahrtschau belastet.“
Die Bundeswehr wiegelt ab. Der Presseoffizier des Jabo-Geschwaders 34, Ralf Zumbruch erklärt, die Tornados hätten in Berlin lediglich den Geradeaus-Vorbeiflug gezeigt. Das sei so peinlich einfach gewesen, im Vergleich zu den Flugvorführungen anderer Luftstreitkräfte, daß sich beinahe kein freiwilliger Pilot für diese Vorführung gefunden hätte.
Doch all dies interessiert den Bundesverteidigungsminister wenig. Als Volker Rühe in Memmingerberg nach einem halben Tag bei der Truppe eine kurze Pressekonferenz gibt, verstimmt es den Minister gehörig, als er auf den Fluglärm, den Luftkampf und die Flugübungen für Berlin angesprochen wird. Der Tag seines Antrittsbesuchs sei eigentlich eine interne Angelegenheit und diene dem Gespräch mit den Soldaten. Er fügt hinzu: „Daß es Luftkampfübungen über Memmingen gegeben hat, das kann ich mir nicht vorstellen, aber dazu kann sicherlich hier noch was von zuständiger Seite gesagt werden.“ Die zuständige Seite ist der Inspekteur der Luftwaffe, General Jörg Kuebart, der Anfang der siebziger Jahre Kommodore in Memmingerberg war. „Was Luftkampfübungen über Memmingen angeht, ist mir nichts bekannt. Sie können hier auch nicht stattfinden, denn wir haben ganz klare Regeln, was das Überfliegen von Städten angeht“, versichert der Drei- Stern-General. „Wir haben auch ganz klare Regeln, was Luftkampfübungen in diesem Lande angeht, die so gut wie gar nicht mehr stattfinden, außer in ganz geringem Umfang.“ Das stimmt nicht, wie das Schreiben des Luftwaffenamtes belegt. Minister und General sind in Verlegenheit. Der Kommodore muß die Luftkampfübungen zugeben. „Eine Luftwaffe muß üben. Wir tun das auch. Früher haben wir geübt in niedrigen Regionen, das machen wir seit einigen Jahren nicht mehr.“ Und so weiter. Keine Frage, daß natürlich zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Bevölkerung bestand. Klaus Wittmann
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