Handschellen für Demonstranten

Zum Auftakt des Weltwirtschaftsgipfels kesselte die Polizei hunderte Demonstranten ein / Die Regierungschefs der sieben reichsten Länder nahmen Beratungen über die Weltwirtschaft auf  ■ Aus München Donata Riedel

Christoph Matschie aus Jena fühlte sich an alte Zeiten erinnert. Der SPD-Bundestagsabgeordnete befand sich auf dem Weg zum Pressezentrum des Weltwirtschaftsgipfels sah er vor den Absperrungen zur Residenz, wie etwa 20 Demonstranten von Polizisten zu Boden geschleudert und anschließend in Handschellen abgeführt wurden. Die Gruppe hatte „Hoch die internationale Solidarität“ skandiert, aber keinerlei Anstalten gemacht, die Absperrung zu durchbrechen oder mit Farbbeuteln zu werfen. Das militärische Empfangszeremoniell für die Gipfel-Delegationen aus den G-7-Ländern USA, Japan, Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada war zu diesem Zeitpunkt, um 12.15 Uhr, bereits beendet.

Am nachmittag hatten Bundesgrenzschutz und die berüchtigte bayrische Elitetruppe „Unabhängiges Sonderkommando“ insgesamt 400 Demonstranten festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht, darunter auch Jutta Ditfurth. Weil das Präsidium überfüllt war, wurden die Festgenommenen im Hof in einer art Freiluftknast festgehalten. Die Demonstranten hatten sich am morgen in Sichtweite der Residenz versammelt, um gegen den Weltwirtschaftsgipfel zu protestieren. „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“, stand auf Transparenten. Die Nachrichtenagentur AP berichtete, daß Zuschauer, die bei der Eröffnung des Spektakels einen Buhruf riskierten, unverzüglich festgenommen worden seien. Die Ordnungshüter hätten augenscheinlich Anweisung jede Unmutsäußerung alsbald zu ersticken. „Wer den harten Griffen der guttrainierten Ordnungshüter nicht unverzüglich nachgibt, wird schon einmal mit einem Fußtritt in den Unterleib gefügig gemacht“, so der AP-Korrespondent.

Bei Redaktionsschluß gingen die Festnahmen weiter. den festgenommenen droht der sogenannte Unterbringungsgewahrsam, eine Spezialität der „Liberalitas Bavariae“. Nach Landesgesetzen kann die Polizei „Ruhestörer“ bis zu 14 Tagen ohne richterlichen Beschluß festhalten. Die Polizei warf den Demonstranten vor, daß sie in den inneren Sicherheitsbereich eindringen wollten. Mehrere Hundertschaften der Sicherheitskräfte hatten einen Kessel gebildet, in dem sie die Demonstranten, die sich weiterhin friedlich verhielten, über stundenlang festhielten.

Der Jenaer Bundestagsabgeordnete Matschie am Mittag auf einer Pressekonferenz des deutschen Regierungssprechers Dieter Vogel eine Erklärung für diese Vorfälle. „Sie sollten sich Fragen, ob das tatsächlich die Art von Demokratie ist, für die Sie auf dem Gipfel eintreten“, warf der früher in der DDR-Friedensbewegung Engagierte Vogel vor. Der Regierungssprecher verwies in seiner Antwort auf die Zuständigkeit der bayrischen Landesregierung für die Polizeieinsätze, die bereits bei der Großdemonstration am Sonntag von zahlreichen Gipfel- Journalisten als völlig überzogen kritisiert worden waren. Die bayrischen Jusos forderten unterdessen den Rücktritt des für die Polizeieinsätze zuständigen bayrischen Innenstaatssekretärs Günther Beckstein (CSU). Der Polizeikessel in München sei „genauso rechtwidrig gewesen wie der hamburger Polizeikessel“.

Hinter verschlossenen Türen haben dann am Nachmittag die Beratungen der G-7-Regierungschefs über die Weltwirtschaft und die lahemende Konjunktur in ihren Heimatländern gesprochen. Zusätzlich wollen die Staatschefs der Länder, die 75 Prozent des Weltreichtums auf sich vereinen, Serbien mit einem militärischen Einsatz drohen, wenn das Morden in Ex-Jugoslawien weitergeht.

Nicht offiziell, sondern nur am Rande in Diskussionsrunden der Außen- Wirtschafts- und Finanzminster wurde auch über die festgefahrenen Gatt-Verhandlungen zur Liberalisiserung des Welthandels gesprochen. Die Außenminister von Großbritannien und den USA sowie der Vizepräsident der EG-Kommission, Frans Andriessen, sollen sich darüber einig gewesen sein, daß ihre Differenzen nurmehr „ziemlich gering“ seien. Der deutsche Regierungssprecher Vogel nannte allerdings die Erwartungen auf eine Einigung während des Gipfels als unrealistisch. Beobachter gehen nicht davon aus, daß US-Präsident George Bush während des Wahlkampfes zu Zugeständnissen bereit sein wird.

Wie auf dem letztjährigen Gipfel in London warten auch in München die Journalist Innen im Presse-Glashaus (4.234 Medienvertreter aus 62 Ländern) auf das Treffen der G-7 mit einem Russen. Präsident Boris Jelzin soll am Mittwoch nach Abschluß des Weltwirtschaftsgipfels empfangen werden. Nach der Zusage des IWF (s. Seite 6), die erste Dollar-Hilfsmilliarde im August überweisen zu wollen, erhoffen sich die G-7 Klarheit über das russische Reformprogramm.