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Anderer Zustand der Welt

■ Premiere in der Tiefgarage der Oldenburger Uni: „Quartett“ von Heiner Müller

Sie hat genug. Männer kriechen ihr, wie Maden aus dem Aas, aus den Ohren hinaus. Auch aus dem übersättigten Mund, der einen Liebhaber nach dem anderen mit zynischen Schmähungen der Langeweile überhäuft. Überdruß regiert ihr Erleben, sie kann nicht mehr fühlen und sehnt sich doch danach, wenn sie still mit sich alleine spricht. Doch Liebe wird sie nicht mehr bekommen, so sehr wühlen in ihr Hohn und Spott über das Erlebte. Und auch er hat genug, die Made daselbst, die immer leicht ihren Weg hinein fand.

Ihre Dialoge aus einer schal gewordenen Welt sind Versatzstücke aus den „Gefährlichen Liebschaften“ von de Laclos, neu eingekleidet vom Theaterautor Heiner Müller, zu einer Geschichte ohne Geschichte. Denn ihre Helden sind leer und ausgebrannt. Zur Zerstreuung ihrer Qual lesen sie sich glühende Liebespassagen vor, mit einem so gleichgültigen Gesichtsausdruck, daß er frieren oder lachen läßt. Dieses Nichtspielen im Spiel ist schauspielerischer Doppelboden. Sie zeigt ihm alles, was an ihr zu sehen ist, doch er sieht nur müde hin und will bald darauf sterben. Sie stellt ihm Spiegel hin, damit dies im Plural geschieht.

Nichts bleibt außer dem Erschrecken, wie nah dem Treiben die altmodischen Worte der Post- 68er-Zeit sind, der sexuellen Befreiung, von der vielen nur ein Nachgeschmack blieb. Doch auch vor dem Ende dieses Jahrhunderts, inmitten eines neuen Wertkonservatismus und der Verpuppung zu zweit, scheint in der lasziven Begehrlichkeit noch eine Attraktion zu liegen. Wie eine Retrospektive, mit wohligem Erschauern, wie furchtbar es gewesen ist. Oder hätte sein können. Und wie eine Wahrnung, daß alle Werte wieder leer werden, auch die von heute. Lauter Blasphemie an der Liebe auf der Bühne, gnadenlos wird das psychische Spiel um erotische Machtergreifung und schließliches Fallenlassen seziert.

„Sie mißtrauen mir noch? Entblößen sie nur meine Brüste!“ spricht Merteuil, so gut gespielt von Susanne Evans, daß sie sich nicht unterscheiden ließen. Philipp Harpain in der Rolle ihres Pendants Valmont scheint daran zu zweifeln, daß soviel Bösartigkeit möglich ist. Die Regie von Peter Walerowski und Susanna de la Prieta führt sie über 4 Bühnen voller Koffer, Stühle und Petersilientöpfe, herum um das Publikum, das sich im Laufe des Stückes einmal um sich selber dreht.

Etwas kühl ist der Veranstaltungsort, die Tiefgarage der Universität Oldenburg, deren Zuschauereingang übrigens ohne Oldenburger Studienabschluß schwer zu finden ist. Erfahrungen im Plakate- und Schilderwirrwarr anderer Universitäten helfen da nicht, also fragen! Doch wer einmal dort sitzt, verloren in der Dunkelheit, umgeben von sinnentleerten Dialogen und leiser ferner Musik, die aus einer anderen Welt zu kommen scheint, wird durch die Inszenierung empfinden, was der Autor wollte: Sehnsucht erwecken nach einem anderen Zustand der Welt.

Und doch, trotz aller Leere, irgendwo in den Tiefen des universitären Raums müssen noch große Werte verborgen sein, von denen ein nur geistiger Glanz auf die Bevölkerung strahlt. Denn mittels ihrer immanenten Synthesisverweigerung erweckt die Montage zwangsläufig den Eindruck des standartisierten Immergleichen..., wo Elemente des Nichtidentischen, des der Folie disparaten nicht einer zwanghaften Synthese unterworfen werden“, posaunt es aus dem Programmheft. Dann muß es ja sein: magna cum laude, posaunt es zurück. Marc Rothensee

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