piwik no script img

Diplomatischer Klangteppich

Adams/Sellars: Die Houstoner Inszenierung von „Nixon in China“ macht in Frankfurt Station  ■ Von Eike Wernhard

Was bevorzugen Sie, Musik oder Wurstwaren?“ Mit dieser verblüffenden Alternative ironisierte der französische Komponist Erik Satie die Kluft zwischen den ästhetischen Ansprüchen von Kunst und dem Rezeptionsverhalten des bürgerlichen Publikums. Die derart skizzierte neue Funktion von Musik bereitete den Nährboden für jenen amerikanischen Minimalismus, der mit einfachen tonalen Formeln und repetitiven Klangmustern seine Hörer in einen Zustand kritikloser Trance versetzt. Einer der bekanntesten minimalistischen Komponisten ist der jetzt 45jährige Amerikaner John Adams, dessen Oper Nixon in China einen sensationellen Erfolg erfahren hat. Nach der Uraufführung in Houston vor fünf Jahren ging die Produktion rund um die Welt und wurde jetzt in Frankfurt als letzte und mit Spannung erwartete Inszenierung der Spielzeit gezeigt. Wie zu erwarten war, wurde die Premiere zu einem gesellschaftlichen Ereignis, wo sich tout Francfort traf.

Im Gegensatz zur Tradition der historischen Oper, deren Handlung sich auf bühnenwirksame dramatische Extremsituationen wie Intrigen, Mord und Totschlag stützt, scheint das Zeremoniell eines Staatsbesuchs auf den ersten Blick ein denkbar ungeeignetes Sujet herzugeben. Aber die Reise des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon in die Volksrepublik China im Jahre 1972 war ein bedeutendes historisches Ereignis, das seinerzeit schon als mediengerechtes Spektakel inszeniert wurde. Auf der Opernbühne erneut in Szene gesetzt, werden die dem Publikum noch gegenwärtigen Fernsehbilder mythisch stilisiert und ironisch gebrochen. Virtuos wechselt der Regisseur Peter Sellars, junger Star der Opernszene, zwischen realistischer Darstellung und surrealer Überhöhung: Langsam schwebt die Präsidentenmaschine vom Himmel herab, der gleich einem Götterboten des american way of life Richard Milhouse Nixon entsteigt. UNITE — Vereinigt Euch! — ist als Ausschnitt des Schriftzugs „United States“ auf dem Flugzeug zu lesen, als ironische Anspielung auf die diplomatische Mission der Reise. Diese Mission wird Nixon aber von dem bereits sehr gebrechlich wirkenden Mao Tse-Tung nicht leicht gemacht: In dem Gespräch zwischen dem großen Vorsitzenden und Tricky Dick, in Maske und Gestik genau dem Vorbild nachempfunden, entlarven die marxistischen Lehrsätze des greisen Chinesen die diplomatischen Floskeln des Präsidenten als leeres Gerede. Sellars hat die Szene exakt nachgebildet: die Empfangshalle mit den klobigen Sesseln, den Stehlampen und dem berühmten Spucknapf. Gleichzeitig hat er das realistische Spiel verfremdet, indem er die Sekretärinnen Maos als synchron choreographierten Backgroundchor agieren läßt, der seine Sprüche nachplappert. Diese Ironisierung findet ihren Höhepunkt im zweiten Akt, als das Präsidentenpaar dem Ballett „Das Rote Frauenbataillon“ zuschaut: Entsetzt über die Gewalttätigkeiten, greift Pat Nixon in die Choreographie ein und wird von ihrem Mann beruhigt: „Es ist nur ein Spiel, Schatz.“ Nach der Aufregung im zweiten Akt klingt die Oper mit einem ruhigen Nocturne aus; beide Paare, die Nixons links und rechts die Maos, mit Zhou En-Lai in der Mitte, singen von ihrer Jugend und ihren Kriegserlebnissen.

Nach amerikanischem Vorbild gab es in Frankfurt Übertitel, so daß man das Gesungene nachvollziehen konnte. Aber die zahlreichen Tipp- und Übersetzungsfehler (die im Programmheft nachzulesen sind) erschwerten dann doch das Verständnis mancher Passagen, so zum Beispiel, wenn Nixon von seiner Kriegszeit im „Pacific-theatre“, also auf dem Kriegsschauplatz im Pazifik, singt und die Übersetzung ihn ins „Pazifik-Theater“ versetzt. So bekommt man wenig von dem Witz des Textes mit, in dem die leere Politikersprache mit umgangssprachlichen Ausdrücken und Werbesprüchen kombiniert wird. Das Libretto von Alice Goodman, die mit Sellars zusammen studierte, verzichtet auf jede dramatische Entwicklung, und die Musik von Adams entspricht dieser statischen Dramaturgie. Irgendwo zwischen Broadway, Wagner, Strauß und Muzak angesiedelt, unterlegt sie den Szenen einen gewissermaßen diplomatischen Klangteppich. Die Protagonisten nahmen musikalisch kaum Gestalt an und gefroren zu jenen Abbildern ihrer selbst, wie sie uns aus den Medien bekannt sind.

Da bis auf wenige Ausnahmen die Sänger der Uraufführung zur Verfügung standen, lief der Abend mit jener filmischen Perfektion ab, für die Peter Sellars zu Recht gerühmt wird. John Adams selbst stand im lila Hemd am Pult und garantierte für die musikalische Authentizität der Aufführung. Bereitwillig und begeistert folgte das Frankfurter Opernorchester seiner Leitung, weist doch die Komposition keines der unbequemen spieltechnischen Probleme auf, die die zeitgenössische Musik bei den Ausführenden so oft unbeliebt macht. Der begeisterte Applaus des Premierenpublikums läßt vermuten, daß Nixon in China erfolgreicher bleiben wird, als es Nixon im Weißen Haus war.

Nixon in China. Oper von John Adams und Alice Goodman. Regie: Peter Sellars. Musikalische Leitung: John Adams. Oper Frankfurt, heute um 19.30Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen