: »Es rauschte, zirpte und quietschte«
■ Seit dem 1. Juli ist DT64 nur noch auf Mittelwelle zu hören/ Aus Hörern werden Tüftler: Röhrenradios und Rahmenantennen sollen aus der Patsche helfen/ Entscheidung über unbefristete Weiterführung von DT64 noch ungewiß
Berlin. Röhrenradios haben bei DT64-Hörern wieder Konjunktur. Seit dem 1. Juli ist das Jugendradio nur noch auf Mittelwelle zu empfangen, auf der Frequenz 1044 kHz. Die Röhrengeräte, die in den fünfziger Jahren hergestellt wurden, als das UKW-Radio noch in den Kinderschuhen steckte, sollen den bisher verwöhnten Ohren der Feunde von DT64 jetzt aus der Patsche helfen; sie sind für den Mittelwellenempfang besser geeignet als die modernen Geräte.
»Es rauschte, zirpte und quietschte, und kurz nach Mitternacht machte sich Entsetzen und Frust breit«, sagt Stammhörer Markus Fuhrmann. Die Freunde von DT64 hatten sich im Ostberliner Knaack Club versammelt, um live dabei zu sein, als ihr Sender auf die Mittelwelle umgeschaltet wurde. »Viele sind enttäuscht abgezogen, andere haben sich ein paar Bier mehr gegönnt«, erzählt Markus. Gut eine Woche später gewinnt Andreas Zummack der ersten Ernüchterung schon wieder eine positive Seite ab: Mittelwellehören sei ursprünglich und damit Kult. Abfinden will er sich nicht mit dem »schrecklich schlechten Empfang«. Er hört sich um, wie sich ein geeigneter Antennenverstärker bauen läßt, und versucht, die alten Röhrenradios aufzutreiben.
Obwohl die StammhörerInnen aus der Not eine Tugend machen wollen, sind sie enttäuscht. Ingrid Lohse aus Mitte, die DT64 seit der Umstellung nicht mehr empfangen kann, findet die Ignoranz der Politiker unerträglich. 500.000 Unterschriften seien schließlich nicht zum Spaß gesammelt worden: »Ich will nicht einsehen, daß eine halbe Million Leute einfach übergangen werden, nur weil sie nicht stark genug organisiert sind.« DT64 selbst veranstaltet eine Anrufaktion, um herauszufinden, wo der Sender gehört werden kann. Empfänger meldeten ihren Genuß aus ungeahnter Entfernung, aus Nordrhein-Westfalen, Schweden und der Südschweiz.
Im JoJo-Club in der Wilhelm- Pieck-Straße in Mitte trifft sich immer montags eine eingeschworene Gemeinde. Rund 40 Leute kamen Anfang dieser Woche. »Ich höre überhaupt nichts mehr«, mäkelt einer. Nachdem die ersten Schreckensmeldungen verdaut worden sind, arbeiten sie die Tagespunkte durch. Bauanleitungen für Rahmenantennen werden verteilt. Nur drei Kopien sind da, und die, die eine erhalten, werden in die Pflicht genommen: bis Montag sollen sie tüfteln und Bericht geben. »Vergeßt das lieber«, meldet sich einer lakonisch, »da könnt ihr auch einen Draht im Garten spannen, und wenn die Leute ihre Waschmaschinen und Fernseher einschalten, rauscht es wieder.« Frust entlädt sich über die Telekom, die für die technische Leistung des Senders verantwortlich ist. Die Sendeanlage in Leipzig strahle nach Osten, und deswegen sei der Empfang in Berlin so mies.
In der folgenden Diskussion über Rundfunkpolitik müssen die hinteren Reihen jetzt mehrmals zur Ordnung gerufen werden. Zu detailliert sind die Fachkenntnisse einiger. Am 21. Juli tagt der Verwaltungsrat des MDR und entscheidet darüber, ob DT unbefristet weitergeführt wird. »Die Macher werden bis dahin keine neuen Forderungen aufstellen. Aber wir können den MDR mit Briefen zupflastern«, erklärt Markus. Erst wenn die Entscheidung gefallen sei, könne man darum kämpfen, daß DT auf die Ultrakurzwelle zurückkehre. Die einstige Unbeholfenheit im Umgang mit Politikern ist im Kampf um den Sender längst dem politischen Kalkül gewichen. Schließlich spekulieren sie über die Besetzung eines Radios, aber »zum falschen Zeitpunkt, kann der Schuß auch nach hinten losgehen«, warnt einer. Ralf Knüfer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen