piwik no script img

GASTKOMMENTARAufruf zur Gründung einer West-Partei

■ Stoltenberg und Ditfurth wären die idealen KandidatInnen

Wenn ich Wessi wäre, hätte ich diesen Aufruf längst gestartet. Aber zum Glück bin ich Ossi, und da haben nun Diestel, Gysi und Co endlich die Initiative ergriffen. Warum allerdings im Westen noch niemand auf diese geniale Idee gekommen ist, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Hat doch der Westen am meisten unter der deutschen Einheit zu leiden: Soli-Abgabe, Zinsexplosion, Mehrwertsteuererhöhung, und dabei hatte der Kanzler versprochen, keinem wird es schlechter... —, na Sie wissen schon.

Die Resonanz jedenfalls auf Diestels Vorstoß ist nur als schallende Ohrfeige für all diejenigen zu verstehen, deren Ost-West-Probleme allenfalls die Kotzbeutel im Flugzeug von Bonn nach Berlin füllen. Im Osten spürt man allerdings deutlich, wo im fernen Bonn der Schuh drückt: Die weltweite Rezession macht auch um Deutschland keinen Bogen mehr, der Regierungskoalition geht die Puste aus, und die SPD hat gewissermaßen auf den falschen Termin trainiert. Daß Diestel diese Stimmung nun aufgreift, hat sicherlich mit seinem traumhaften Instinkt für wunde Punkte zu tun, sicherlich aber auch damit, daß in Bonn die Ossis nach wie vor unterschätzt werden. Die deutsche Einheit ist der Aufschwung Ost, und der wiederum ist für Bonn nichts weiter als ein wirtschaftliches Problem. Daß sie auch und vor allem eine kulturelle und sozialpsychologische Dimension hat, ist in unserer ökonomisch geprägten Zeit kaum populär. Mich erstaunt immer wieder, wie viele unserer MitbürgerInnen aus dem Westen noch nicht in Ostdeutschland waren und vom Spreewald weniger wissen als über die Toscana. Und darauf zielt Herr Diestel ja auch nicht ab. Was ihn trägt, ist das einfache Schema: Du bist arbeitslos — ich bin arbeitslos, du mußt mehr Miete zahlen — ich muß mehr Miete zahlen, und der Schuldige dafür sitzt im Westen.

Die Resonanz auf Diestels Vorstoß sollte man also ernst nehmen um der Einheit willen. Teilung durch Teilen überwinden und Parteienverdrossenheit sind nur zwei der deutlichen Mahnungen eines einsamen Rufers in der Wüste. Für alle, die sich im Westen vom Kanzler betrogen fühlen, könnten vielleicht Herr Stoltenberg und Frau Ditfurth meine Idee von der West-Partei einmal aufgreifen. Allerdings vermute ich, daß auch dieses Unterfangen nach einem anfänglichen Medienrummel alsbald ins Stocken gerät. Was wir in Deutschland brauchen, ist wohl weniger eine Ost- oder West- Partei als den Abbruch von Mauern in unseren Köpfen. Und dazu könnte die ganze Debatte durchaus nützlich sein. Olaf Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen