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Vom Formlosen ins Formlose

Armin Holz inszeniert Ramón del Valle-Incláns „Wunderworte“ in den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters  ■ Von Klaudia Brunst

Gott guckt uns nicht zu, der hat der Welt längst den Rücken gekehrt“, läßt der spanische Dichter Ramón del Valle-Inclán einen seiner Helden gleich zu Beginn seiner Grotske „Wunderworte“ erklären. Und wirklich: viel kann Gott in dem kleinen galizischen Dorf trotz all der katholischen Frömmigkeit seiner Bewohner nicht verloren haben.

Als die Witwe Juana la Reina plötzlich auf offener Straße stirbt und ihrem irren Sohn Laureano ein einträgliches Geschäft hinterläßt, möchte sich so mancher in ihrer Verwandtschaft gerne vor den Karren spannen, in dem die Verblichene ihren irren Laureano von Jahrmarkt zu Jahrmarkt geschoben hatte. Die Totenklage der trauernden Familie mischt sich dann auch schnell mit munteren Jubelgesängen. Denn soviel ist klar: Wer Laureano versorgt, besitzt im armen Galizien allemal eine einträgliche Geldquelle. „Das ist keine Last, das ist Profit.“

Und während Bruder Pedro und Schwester Marica noch darüber feilschen, wer den „Karren“ nun an welchen Tagen bekommen soll, ist es für Pedros Frau Mari-Gaila schon ausgemacht, daß sie mit Laureano auf und davon gehen wird. Sie verläßt Ehemann und Tochter und zieht mit einem Troß fahrender Leute übers Land. Die heiß vergossenen Tränen der Zurückbleibenden gelten weniger dem verlorenen Blutsverwandten Laureano als dem entgangenen Profit. Der Bürgersmann Pedro beweint zudem noch seine eheliche Ehre, die seine Angetraute gerade mit dem sittenlosen Gaukler Septimo verspielt.

Wunderworte, 1920 geschrieben und in Deutschland zuvor erst zweimal aufgeführt, ist ein sogenanntes „Esperpento“ (zu deutsch: Schauerposse) des Spaniers Ramón del Valle-Inclán, eine Tragi-Komödie, ein deformiertes Zerrbild der Wirklichkeit. Eines, das den bitteren Kern der Dinge und Wesen zeigen will, statt nur den schönen Schein.

In der Inszenierung vn Armin Holz in den Kammerspielen des Deutschen Theaters scheint dieser bittere Kern hinter viel Regie-Schnickschnack wieder zu verschwinden. Als habe er von Anfang an klarstellen wollen, daß hier lediglich eine „Schauperposse“ zu sehen ist, läßt Armin Holz den Figuren des Stücks gar keine Gelegenheit, sich erst einmal sinnhaft vorzustellen. Bernd Stempel als Pedro Gailo muß in seinem viel zu kleinen Anzug und einem zweifarbigen Rauschebart über die Bühne stelzen und sich von der überzeichneten Zuhälterfigur Septimo (Ulrich Haß) verhöhnen lassen, seine Frau Mari-Gaila und Schwester Marica agieren gleich zu Beginn so exaltiert, daß einem der später so wüst entbrennende Streit über den lukrativen Karren nicht mehr bizarr, sondern nur noch folgerichtig erscheinen kann.

So kann die Groteske nicht zu ihrer Wirkung kommen, kann nichts von der Form ins Formlose umschlagen, vom Maßvollen ins Sinnlose kippen. Der zweieinhalbstündige Theaterabend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters blieb dann auch entsprechend unentschieden. Viele Gedanken, Blitzlichter einer Idee wurden angerissen, aber nicht ausgeführt, wie zum Beispiel die Inzest-Anspielung zwischen Pedro und seiner Tochter Simonina (verläßlich gut: Ulrike Krumbiegel). Ramón del Valle-Incláns Katholizismuskritik ist bei Armin Holz so stark in den Hintergrund gedrängt, daß das Kreuz, als es auf die Bühne geschleppt wird, kaum mehr als ein weiterer Gag sein kann. Das Bühnenbild von Peter Schubert erzielt mit großen Stahlkäfigen zwar Wirkung, die lachsfarbene Wandbespannung erscheint aber für die Atmosphäre des Stückes fast wieder zu schick.

Allein die schauspielerischen Leistungen der zweiundzwanzig DarstellerInnen hatte das im Deutschen Theater gewohnte hohe Niveau. Besonders Margit Bendokat als La Tatula, Bärbel Bolle als die verstorbene Juana la Reina und Corinna Harfouch als Mari-Gaila verliehen der Inszenierung wichtige Glanzpunkte. Diese wenigen atmosphärischen Momente lassen ein dichtes, interessantes Stück erahnen, das aber in dieser Fassung weit unter dem Möglichen inszeniert scheint.

Gegen Ende zerfaselte der Spannungsbogen immer deutlicher, die Schauspieler agierten zusehends einfallsloser, weil dem Regisseur anscheinend die Einfälle ausgegangen waren. Und so mischten sich beim nicht gerade enthusiastischen Schlußapplaus, als Armin Holz zu seinen Schauspielern auf die Bühne kam, unter die wenigen Bravo-Rufe auch lautstarke Unmutsbekundungen. Man hatte sich am Ende einer erfolgreichen Spielzeit von dieser letzten Premiere im Deutschen Theater, mit der übrigens Ignaz Kirchner ursprünglich sein Debüt als neues Ensemblemitglied hätte geben sollen, mehr versprochen. Kirchner wird nun erst im Herbst mit einer Langhoff-Inszenierung seine Arbeit aufnehmen. Er wird wissen, warum.

Ramón del Valle-Inclán: Wunderworte. In einer Übersetzung von Fritz Vogelsang; Regie: Armin Holz. Bühnenbild und Kostüme: Peter Schubert. Musik: Irmin Schmidt. Mit Corinna Harfouch, Bernd Stempel, Ulrich Haß, Margit Bendokat, Elsa Grube-Deister, Ulrike Krumbiegel, Horst Lebinsky, Markus Gertken u.a. Weitere Aufführungen: 11. und 12.Juli in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Berlin.

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